Helene Böhlau

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Helene Böhlau um 1890
Helene Böhlau, Jugendbild um 1875
Helene Böhlau um 1907
Durch Helene Böhlaus Romanserie Ratsmädelgeschichten wurden die Töchter des Weimarer Bürgermeisters Friedrich Kirsten in ganz Deutschland bekannt. Gedenktafel am Haus Windischenstraße 13 in Weimar
Hans Thoma: Zeichnung zu Sommerbuch, 1903

Helene Böhlau, verh. al Raschid Bey (* 22. November 1856[1] in Weimar; † 26. März 1940 in Augsburg[2]), war eine deutsche Schriftstellerin.

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Helene Böhlau war die Tochter des Weimarer Verlagsbuchhändlers Hermann Böhlau und dessen Frau Therese, geb. Thon. Sie genoss eine sorgfältige Privaterziehung. Um ihren geistigen Horizont zu erweitern, schickte man sie auf Reisen ins Ausland, wo sie im Orient den Architekten und Privatgelehrten Friedrich Arnd kennenlernte. Beide verliebten sich, und um Helene neben seiner ersten als zweite Frau heiraten zu können, konvertierte Arnd vom Judentum zum Islam und nannte sich fortan Omar al Raschid Bey. Helenes Vater verbot ihr daraufhin das Haus. Er begegnete ihr zwar später noch einmal, ihren Ruhm aber hat er nicht mehr erlebt.

Nach der Hochzeit 1886 lebte das Ehepaar ein Jahr lang in Konstantinopel, dann – nach der Scheidung von seiner ersten Frau – in München. Helene Böhlau veröffentlichte weiterhin unter ihrem Geburtsnamen, manchmal mit dem Zusatz „Frau al Raschid Bey“. Zu ihrem Freundeskreis gehörte auch die Schriftstellerin und Kunstkritikerin Anna Spier, die Ehefrau des Politikers und Privatgelehrten Samuel Spier, der Helene Böhlau 1903 im schwärmerischen Gedenken an „unsere Grünen Sommer!“ ihr Sommerbuch Altweimarische Geschichten widmete. Auch den Roman Halbtier! widmete sie Anna Spier. Nach dem Tod des Ehemannes im Jahre 1911 wohnte Helene Böhlau in Ingolstadt, München, Widdersberg und Augsburg. Ihr 1895 geborener Sohn Omar Hermann Böhlau bildete 1915 als Gefreiter in München Rekruten aus, darunter Victor Klemperer.

Helene Böhlau verstarb am 26. März 1940 im Krankenhaus in Augsburg[3] und fand ihre letzte Ruhestätte auf dem Friedhof in Widdersberg im an der Kirche gelegenen Familiengrab (Inschrift „Helene Böhlau al Raschid Bey“).[4]

Leistungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Helene Böhlau gehörte zu ihrer Zeit zu den bedeutendsten Schriftstellerinnen. Sie erhielt den Preis der Deutschen Schiller-Stiftung. Max Lesser nannte sie 1901 gemeinsam mit Gerhart Hauptmann, Hugo von Hofmannsthal und Peter Altenberg die bedeutendste deutschsprachige Schriftstellerin der Gegenwart.[5] Ab 1882 veröffentlichte sie Novellen und Kurzgeschichten. Ihr erster Roman mit dem Titel Reines Herzens schuldig erschien 1888. Das Werk Helene Böhlaus umfasst sowohl ambitionierte Kunst- als auch Gebrauchsliteratur. Ihre frühen, vom Naturalismus beeinflussten feministischen Romane Der Rangierbahnhof (1896), Das Recht der Mutter (1896) und Halbtier! (1899) wurden von den Zeitgenossen beachtet und insgesamt positiv rezensiert (wenn auch gelegentlich ein Zug ins „zu“ Genialische, Absonderliche moniert wurde). Einem größeren Publikum war Helene Böhlau vor allem bekannt als Autorin der Ratsmädelgeschichten (1888; weitere Bände 1897, 1905 und 1923) und diverser Altweimarischer Geschichten (1897ff.).

Werke[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Alle Werke Böhlaus wurden häufig neu aufgelegt, oft in wechselnden Zusammenstellungen:

  • Novellen. 1882. Digitalisat. (Neuausgabe unter dem Titel Salin Kaliske. 1902; Inhalt: Im Banne des Todes; Salin Kaliske; Maleen)
  • Der schöne Valentin. Die alten Leutchen. Zwei Novellen. 1886.[6] Digitalisat.
  • Reines Herzens schuldig. Roman. 1888. Digitalisat.
  • Herzenswahn. Roman. 1888. Digitalisat.
  • Rathsmädelgeschichten. 1888. Digitalisat.[7]
  • Im Trosse der Kunst und andere Novellen. 1889. Digitalisat.
  • In frischem Wasser. Roman in zwei Bänden. o. J. [1891.] Digitalisat Bd. 1; Digitalisat Bd. 2.
  • Der Rangierbahnhof. Roman. 1896. Digitalisat. Neu hg. von Henriette Herwig, Turmhut, Mellrichstadt 2004, ISBN 3-936084-44-0.
  • Das Recht der Mutter. Roman. 1896.
  • Altweimarische Liebes- und Ehegeschichten. 1897. Digitalisat.
  • Ratsmädel- und Altweimarische Geschichten. 1897. Digitalisat.
  • Im alten Rödchen bei Weimar. Das ehrbußliche Weibchen. Zwei Novellen. 1897.[8]
  • Die verspielten Leute. Des Zuckerbäckerlehrlings Johannisnacht. Zwei Novellen. 1897.
  • Verspielte Leute. Roman. 1898. Digitalisat.
  • Schlimme Flitterwochen. Novellen. 1898.
  • Glory, Glory Hallelujah. Roman. 1898.
  • Das Brüller Lager. Roman. 1898.
  • Halbtier! Roman. 1899. (Aufl. 1903: Digitalisat) Neu hg. von Henriette Herwig, Turmhut, Mellrichstadt 2004, ISBN 3-936084-42-4.
  • Philister über dir! Schauspiel. 1900.
  • Sommerbuch. Altweimarische Geschichten. 1903.[9]
  • Die Kristallkugel. Eine Altweimarische Geschichte. 1903.[10]
  • Sommerseele. Muttersehnsucht. Zwei Novellen. 1904.[11]
  • Die Ratsmädchen laufen einem Herzog in die Arme. 1905
  • Das „Haus zur Flamm.“ Roman. 1907.
  • Kußwirkungen. Erzählungen. 1907. (Auszug aus: Ratsmädel- und Altweimarische Geschichten)
  • Isebies. Die Geschichte eines Lebens. Roman. 1911.[12]
  • Vorwort zu Das hohe Ziel der Erkenntnis von Omar al Raschid Bey, 1912.
  • Gudrun. 1913.
  • Der gewürzige Hund. Roman. 1916.
  • Ein dummer Streich. 1919.
  • Im Garten der Frau Maria Strom. Roman. 1922. Digitalisat.
  • Die Ratsmädel gehen einem Spuk zu Leibe. Erzählungen. 1923. (Auszug aus: Ratsmädel- und Altweimarische Geschichten)
  • Die leichtsinnige Eheliebste. Ein Liebeswirrwarr. Roman. 1925.[13]
  • Die kleine Goethemutter. Roman. 1928.
  • Kristine. Roman. 1929.[14]
  • Böse Flitterwochen. Roman. 1929.
  • Eine zärtliche Seele. Roman. 1930.
  • Wie die Enkelin der Ratsmädel zum Blaustrumpf wurde, in: Ratsmädel- und Altweimarische Geschichten. Altweimarische Liebes- und Ehegeschichten. Deutsche Buchgemeinschaft o. J., ca. 1930, S. 128–166; zuerst in Ratsmädel- und Altweimarische Geschichten, 1897 (S. 122–159, Digitalisat), 1899.[15]
  • Föhn. Roman. 1931.
  • Spuk in Alt-Weimar. Erzählungen. 1935. (Auszug aus: Ratsmädel- und Altweimarische Geschichten)
  • Die drei Herrinnen. Roman. 1937.
  • Goldvogel. Erzählungen. 1939.
  • Jugend zu Goethes Zeit. 1939.[16]
Werkausgabe
  • Werke. 9 Bde., 1929.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Hubert Amft: Dem „Geist des Ortes“ verpflichtet. Leben, Werk und Frauenbild Helene Böhlaus. In: Weimarbrief. 2, 2001, S. 20–36.
  • Josef Becker: Helene Böhlau. Leben und Werk. ADAG Administration und Druck, Zürich 1988 DNB 947139257. (Dissertation Universität Zürich 1988).
  • Gisela Brinker-Gabler: Perspektiven des Übergangs. Weibliches Bewußtsein und frühe Moderne. In: Gisela Brinker-Gabler (Hrsg.): Deutsche Literatur von Frauen. Band 2. C. H. Beck, München 1988, S. 169–205, ISBN 3-406-33118-1.
  • Elisabeth Friedrichs: Die deutschsprachigen Schriftstellerinnen des 18. und 19. Jahrhunderts. Ein Lexikon. Metzler, Stuttgart 1981, ISBN 3-476-00456-2, S. 4. (mit falschem Geburtsdatum)
  • Maike Heimeshoff: „die Dinger von Deiner Frau sind net übel!“ Künstlerinnen und Abhängigkeit von männlicher Anerkennung am Beispiel von Helene Böhlaus „Halbtier!“ und „Der Rangierbahnhof“. GRIN, München 2011, ISBN 978-3-640-99589-9.
  • Günter Helmes: Helene Böhlau: „Halbtier!“. In: Reclams Romanlexikon. Band 2. Stuttgart 1999, S. 536f., ISBN 978-3-1501-800-20.
  • Hans SchwerteBöhlau, Helene. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 2, Duncker & Humblot, Berlin 1955, ISBN 3-428-00183-4, S. 376 f. (Digitalisat).
  • Verda Seehausen: Helene Böhlau. In: Britta Jürgs (Hrsg.): „Denn da ist nichts mehr, wie es die Natur gewollt.“ Portraits von Künstlerinnen und Schriftstellerinnen um 1900. Aviva, Berlin 2001, ISBN 3-932338-13-8, S. 260–280.
  • Sandra L. Singer: Free soul, free women? A study of selected fictional works by Hedwig Dohm, Isolde Kurz, and Helene Böhlau (= Studies in modern German literature, Band 75). Lang, New York 1995, ISBN 0-8204-2557-5.
  • Ludmila Kaloyanova Slavova: Übergangsgeschöpfe. Gabriele Reuter, Hedwig Dohm, Helene Böhlau und Franziska von Reventlow (= Women in German Literature; Band 2). Lang, New York 1998, ISBN 0-8204-3962-2.
  • Elena Tresnak: Theodor Fontane: „Wegbereiter“ für weibliche Emanzipation um 1900? Vergleichende Untersuchung literarischer Weiblichkeitskonzepte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts am Beispiel von Theodor Fontanes „Cécile“ (1887) und Helene Böhlaus „Der Rangierbahnhof“ (1896). Igel, Hamburg 2011, ISBN 978-3-86815-545-7 (Dissertation Universität Kiel 2010).
  • Friedrich Zillmann: Helene Böhlau. Ein Beitrag zu ihrer Würdigung. Xenien, Leipzig 1918 DNB 578493578

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Geburtsanzeige in Weimarer Zeitung vom 23. November 1856, S. 1112; getauft am 26. Dezember (Weimarer Zeitung vom 3. Januar 1857, S. 8). Taufbuch der ev. Kirchengemeinde Weimar 1856, S. 249, Nr. 1165 (laut Becker 1988, S. 4).
  2. Die Angabe „Widdersberg bei Herrsching“ bei Friedrichs ist falsch.
  3. Tanja Praske: Helene Böhlau (1856–1940) – Schreiben als Akt der Befreiung | #femaleheritage. 6. Januar 2021, abgerufen am 1. September 2022 (deutsch).
  4. Helene Böhlau in der Datenbank Find a Grave (mit Foto des Familiengrabes)
  5. Max Lesser: Götterdämmerung. In: Neues Wiener Tagblatt. 35 (1901) #243, 5. September 1901, S. 1–3, hier: S. 3.
  6. Beide im Volltext bei Projekt Gutenberg-DE in getrennten Abschnitten
  7. spätere Ausgaben: Ratsmädelgeschichten. J. C. C. Bruns, Minden ab 1914. Sieben Erzählungen. (Inhaltsverzeichnis)
  8. Beide im Volltext bei Projekt Gutenberg-DE als Altweimarische Liebes- und Ehegeschichten.
  9. Unter den Sammeltiteln Altweimarische … bzw. Liebes- oder Ehe-Geschichten wurden immer wieder andere ihrer zahlreichen Erzählungen in verschiedenen Ausgaben neu aufgelegt. Volltext des ganzen Bandes bei Projekt Gutenberg-DE. Sechs Einzeltitel daraus sind hier auch getrennt gelistet; der 7. Text ist Der dichtverwachsene Garten als 6 Kapitel.
  10. Volltext bei Projekt Gutenberg-DE als Kap. 5 von „Ein Sommerbuch“
  11. Volltexte bei Projekt Gutenberg-DE als 3. bzw. 7. Kapitel von Ein Sommerbuch.
  12. Autobiographischer Roman. Auch in GW 6, 1915; wieder in GW 2, Romane und Erzählungen 1, Böhlau Verlag 1929. Rezensionen von Hermann Kienzl und Gertrud Bäumer, nachgewiesen in Gudrun Wedel: Autobiographien von Frauen. Ein Lexikon. Böhlau, Köln 2010, ISBN 978-3-412-20585-0. (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche)
  13. Volltext bei Projekt Gutenberg-DE.
  14. Volltext bei Projekt Gutenberg-DE
  15. Aufschlussreicher autobiographischer Essay über ihre Kindheit.
  16. Volltext bei Projekt Gutenberg-DE unter dem Titel Jugend als 4. Kapitel von Ein Sommerbuch.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Helene Böhlau – Sammlung von Bildern
Wikisource: Helene Böhlau – Quellen und Volltexte