Hermann Strauß (Mediziner)

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Hermann Strauß, um 1900
Stolperstein beim Kurfürstendamm 184
Gedenktafel am Haus, Kurfürstendamm 184, in Berlin-Charlottenburg

Hermann Strauß (auch Strauss oder Strausz; * 28. April 1868 in Heilbronn; † 17. Oktober 1944 im Ghetto Theresienstadt) war ein deutscher Mediziner und Direktor der Abteilung für Innere Medizin des Jüdischen Krankenhauses Berlin von 1910 bis 1942.

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Sohn des Heilbronner Kaufmanns Heinrich Strauß und seiner Frau Röschen[1] geborene Oppenheimer[2] studierte ab 1886 Medizin an den Universitäten Würzburg und Berlin. Er wurde 1890 in Berlin mit einer Arbeit über rechts- und linksseitige Hemiplegie promoviert. Danach kam er in Berlin für kurze Zeit als Assistenzarzt zu Emanuel Mendel an die Poliklinik für Nervenkrankheiten, um danach bei Carl Anton Ewald am Berliner Augusta-Hospital seine internistische Weiterbildung zu beginnen. Im Jahr 1893 wechselte Strauß zu Franz Riegel nach Gießen an die Medizinische Universitätsklinik. 1895 wurde er Oberarzt der III. Medizinischen Klinik der Charité in Berlin bei Hermann Senator. 1897 an der Medizinischen Fakultät der Universität Berlin habilitiert, erhielt er dort 1902 eine außerordentliche Professur. Im selben Jahr fand er eine von da an in der Inneren Medizin bei der Nierenfunktionsprüfung eingesetzte Methode zur Bestimmung von Reststickstoff[3] bzw. Residual-N (residual nitrogen) (Rest-N[4]).[5] Ab 1906 richtete er eine eigene Poliklinik sowie eine Privatklinik ein. 1910 kam er als Chefarzt der Inneren Abteilung an das Jüdische Krankenhaus Berlin. 1918 wurde er in Anerkennung seiner im Ersten Weltkrieg durch die Einrichtung von zwei Lazaretten erlangten Verdienste zum Geheimen Sanitätsrat ernannt. Nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten verlor Strauß 1933 seine Lehrbefugnis. 1942 wurde er in das Ghetto Theresienstadt deportiert, wo er am 17. Oktober 1944 zu Tode kam. In Theresienstadt gehörte Strauß ab Oktober 1942 dem Ältestenrat an und war Leiter des wissenschaftlichen Ausschusses des Ghetto-Gesundheitswesens.

Er war seit 1899 mit Elsa Isaac, einer Nichte des Berliner Kunstmäzens James Simon, verheiratet. Elsa Strauß erlebte die Befreiung des Ghettos Theresienstadt; sie starb jedoch am 13. Juni 1945, bevor sie das Lager verlassen konnte.[6] Der Ehe entstammten der Sohn Walter Strauß (1900–1976) sowie eine Tochter. Seit dem 28. April 2015 erinnert eine Gedenktafel an Hermann und Elsa Strauß in Berlin am Kurfürstendamm 184; hier hatte das Ehepaar seit 1937 bis zu seiner Deportation im Juli 1942 gewohnt.

Beiträge zur medizinischen Wissenschaft[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Mit Hermann Strauß verbindet sich die Straußsche Kanüle zur venösen Punktion.[7] Es handelt sich dabei um eine „kräftige Venenpunktionskanüle mit einer abgerundeten schildförmigen Griffplatte.“ Er veröffentlichte Beiträge zur funktionellen Nephrologie und zur Einführung der kochsalzarmen Diät als therapeutisches Prinzip bei Nierenkrankheiten.[8][9] Er entwickelte das Straußsche Procto-Sigmoidoskop und die Straußsche Penisklemme. Er publizierte außerdem Arbeiten über Erkrankungen des Dickdarms, besonders des Enddarms. Nach ihm sind die Straußsche Milchsäurereaktion (1895), die Straußsche Paramyloidose (atypische Amyloidose), das Straußsche Besteck (Kohlensäureschneebesteck) und die Straußsche Reiztrias bei Spasmophilie benannt.

Vier verschiedene diagnostische Methoden heißen nach ihm Strauß-Probe:

Bereits 1897 beschrieb er die „neurogene und thyreogene Glykosurie“, was man heute als sekundären Diabetes mellitus bei hoher allostatischer Last und Hyperthyreose bezeichnen würde[11][12]. Er verfasste 25 Bücher sowie über 430 Beiträge für Sammelwerke und medizinische Zeitschriften. Seine Veröffentlichungen umfassen das gesamte Gebiet der Inneren Medizin.

Würdigung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Haus der Stadtgeschichte in Heilbronn wird ausführlich auf sein Leben und das seiner Familie eingegangen.[1]

Veröffentlichungen (Auswahl)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Zur Technik des Aderlasses, der intravenösen und subcutanen Infusion. In: Zeitschrift für Krankenpflege. Band 20, 1898, Heft 4, S. 66–69.
  • Die chronischen Nierenentzündungen in ihrer Einwirkung auf die Blutflüssigkeit und deren Behandlung. Hirschwald, Berlin 1902.
  • Zur Behandlung und Verhütung der Nierenwassersucht. In: Therapie der Gegenwart. Neue Folge, Band 5, 1903, S. 193–200.
  • Zur Methodik der Rectoskopie. In: Berliner Klinische Wochenschrift. Band , 1903, S. 1100–1104.
  • Vorlesungen über Diätbehandlung Innerer Krankheiten. Karger, Berlin 1910.
  • Procto-Sigmoscopie und ihre Bedeutung für die Diagnostik und Therapie der Krankheiten des Rectums und der Flexura sigmoidea. Georg Thieme, Leipzig 1910.
  • Die Nephritiden. Abriß ihrer Diagnostik und Therapie auf Grund der neueren Forschungsergebnisse. Urban & Schwarzenberg, Berlin / Wien 1916; 3. Auflage ebenda 1920.
  • Erkrankungen des Rectum und Sigmoideum. Urban & Schwarzenberg, Berlin/Wien 1922.[13]
  • Die Krankheiten der Nieren. Schwabacher’sche Verlagsbuchhandlung, Berlin ohne Jahr [1923] (= Schwabachers Medizinische Bibliothek. Heft 4).

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Helmut Schmolz, Hubert Weckbach: Bedeutende Heilbronner (III). In: Schwaben und Franken. Heimatgeschichtliche Beilage der Heilbronner Stimme. 15. Jahrgang, Nr. 1, 11. Januar 1969, ZDB-ID 128017-X.
  • Harro Jenss: Hermann Strauss. Internist und Wissenschaftler in der Charité und im jüdischen Krankenhaus Berlin (= Jüdische Miniaturen. Bd. 95). Hentrich & Hentrich, Berlin 2010, ISBN 978-3-941450-22-6.
  • Harro Jenss: Von Heilbronn an die Charité und an das Jüdische Krankenhaus Berlin, Hermann Strauss 1868–1944. In: Heilbronner Köpfe VI. Lebensbilder aus zwei Jahrhunderten (= Kleine Schriftenreihe des Archivs der Stadt Heilbronn. Bd. 58). Heilbronn 2011, S. 229–252.
  • Harro Jenss, Peter Reinicke (Hrsg.): Der Arzt Hermann Strauss, 1868–1944. Autobiographische Notizen und Aufzeichnungen aus dem Ghetto Theresienstadt. Hentrich & Hentrich, Berlin 2014, ISBN 978-3-95565-048-3.
  • Harro Jenss: Die Familie Strauß aus der Klostergasse. In: Christhard Schrenk (Hrsg.): Jüdisches Leben in Heilbronn. Skizzen einer tausendjährigen Geschichte. Stadtarchiv Heilbronn, Heilbronn 2022 (Veröffentlichungen des Archivs der Stadt Heilbronn; 53), ISBN 978-3-940646-34-7, S. 299–314.
  • Kilian Krauth: Der vergessene Mediziner aus der Klostergasse. Hermann Strauss machte in Berlin Karriere und endete im KZ. In: Heilbronner Stimme. 25. Oktober 2014.
  • Eberhard J. WormerStrauss, Hermann. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 25, Duncker & Humblot, Berlin 2013, ISBN 978-3-428-11206-7, S. 511 f. (Digitalisat).
  • Peter Reinicke: Strauss, Elsa. In: Hugo Maier (Hrsg.): Who is who der Sozialen Arbeit. Lambertus, Freiburg 1998, ISBN 3-7841-1036-3, S. 581.
  • Hermann Strauss, in: Ernst Gottfried Lowenthal (Hrsg.): Bewährung im Untergang. Ein Gedenkbuch. Stuttgart : Deutsche Verlags-Anstalt, 1965, S. 171f.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Hermann Strauß (Arzt) – Sammlung von Bildern

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b Haus der Stadtgeschichte, Station: Klostergasse, Nr. 33.
  2. Familienregister der Israelitischen Gemeinde Heilbronn im Hauptstaatsarchiv Stuttgart, Bestand J 386 Bü. 257 S. 86.
  3. Paul Diepgen, Heinz Goerke: Aschoff/Diepgen/Goerke: Kurze Übersichtstabelle zur Geschichte der Medizin. 7., neubearbeitete Auflage. Springer, Berlin/Göttingen/Heidelberg 1960, S. 57.
  4. Vgl. dazu auch www.loadmedical.com
  5. Johanna Bleker: Die Geschichte der Nierenkrankheiten. Boehringer Mannheim, Mannheim 1972, S. 119.
  6. Hugo Maier (Hrsg.): Who is who der Sozialen Arbeit. Lambertus, Freiburg im Breisgau 1998, ISBN 3-7841-1036-3, S. 581.
  7. Hinweis: Sie darf nicht mit der Straubschen Kanüle nach Hermann Straub zur Bestimmung des Schlagvolumens verwechselt werden.
  8. Theodor Fahr: Pathologische Anatomie des Morbus Brightii. In: Theodor Fahr: Niere. In: Theodor Fahr, Georg Benno Gruber, Max Koch, Otto Lubarsch, O. Stoerk: Harnorgane – Männliche Geschlechtsorgane. In: Handbuch der speziellen pathologischen Anatomie und Histologie. 6. Band, 1. Teil, Verlag von Julius Springer, Berlin 1925, S. 156–472, Zitat „Schonungsdiät“ S. 327.
  9. Hermann Strauß: Praktische Winke für die Kochsalzentziehungskur durch chlorarme Ernährung. 3. Auflage, S. Karger Verlag, Berlin 1924.
  10. Günter Thiele, Heinz Walter (Hrsg.): Reallexikon der Medizin und ihrer Grenzgebiete. Verlag Urban & Schwarzenberg, Loseblattsammlung, München / Berlin / Wien 1974, Band 6 (S–Zz), ISBN 3-541-84006-4, S. S348–S349.
  11. Hermann Strauss: Zur Lehre von der neurogenen und thyreogenen Glykosurie. In: Deutsche Medizinische Wochenschrift. Band 23, Nr. 18, 1897, S. 275-278. doi:10.1055/s-0029-1204973.
  12. Hermann Strauss: Zur Lehre von der neurogenen und thyreogenen Glykosurie. In: Deutsche Medizinische Wochenschrift. Band 23, Nr. 20, 1897, 309-312. doi:10.1055/s-0029-1204995.
  13. Vgl. Die wissenschaftlichen Arbeiten von Hermann Strauß und seinen Mitarbeitern aus den Jahren 1890–1937. Zusammengestellt von B. Wolfsohn. Lichtwitz, Berlin 1938.