Justizkanzlei Hungen

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Die Justizkanzlei Hungen war als Justizkanzlei ein Gericht zweiter Instanz in der zunächst reichsunmittelbaren Herrschaft dann ab 1806 der Standesherrschaft der Fürsten und Grafen von Solms.[Anm. 1]

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Zuge der Auflösung des Alten Reichs 1806 und der Mediatisierung kamen einige zuvor reichsunmittelbare Fürsten und Grafen unter die Herrschaft des Landgrafen von Hessen-Darmstadt der damit auch zum Großherzog aufstieg. Das betraf auch das Haus Solms und seine Herrschaft. Im Zuge der Mediatisierung blieben aber die Rechte der nunmehrigen Standesherren gegenüber ihren bisherigen Untertanen ungeschmälert, auch hinsichtlich ihrer Befugnisse in der Rechtsprechung. Als Standesherren übten sie weiterhin die Rechtsprechung aus[1] und das Großherzogtum musste dulden, dass sie dies auch in zweiter Instanz weiterhin taten. Dafür bestand allerdings die Bedingung, dass dort die gleichen Verfahren angewandt wurden, wie am Hofgericht, dem staatlichen Gericht zweiter Instanz. Um ein solch eigenes Gericht zweiter Instanz betreiben zu können, schlossen sich alle Zweige der Familien der Fürsten und Grafen von Solms zusammen und errichteten ein gemeinsames Obergericht unter der Bezeichnung „Justizkanzlei“ in Hungen.[2]

Der Betrieb dieses „privat“ organisierten Gerichtswesens erwies sich einerseits für die Standesherren als dauerhafte wirtschaftliche Belastung zum anderen war das Großherzogtum daran interessiert, in seinem Staatsgebiet das Rechtsprechungsmonopol zu erlangen. Im Zuge der beabsichtigten und dann 1821 durchgeführten Verwaltungs- und Justizreform im Großherzogtum Hessen verhandelte der Staat seit 1820 mit allen Standesherren über die Übergabe der von diesen betriebenen Gerichtsorganisationen an den Staat. 1822 wurde die Struktur der Gerichte in der Standesherrschaft der in den Dominiallanden (den Gebieten des Großherzogtums mit ausschließlicher Zuständigkeit des Staates in Verwaltung und Rechtsprechung) angeglichen.[3] Dabei wurden aus den bestehenden Ämtern der Fürsten und Grafen von Solms-Braunfels, Solms-Lich, Solms-Laubach und Solms-Rödelheim für die Rechtsprechung vier neue Landgerichtsbezirke gebildet (siehe Übersicht).

Im Frühjahr 1823 verzichteten die Fürsten und Grafen von Solms darauf, eine eigene zweite Instanz zu betreiben. Einzig die Fürstin Henriette von Solms-Hohensolms-Lich[Anm. 2] erwog noch für die von ihr regierte Standesherrschaft, eine eigene Justizkanzlei zu betreiben.[4] Sie verzichtete aber letztendlich darauf und die kompletten Aufgaben der Justizkanzlei Hungen wurden zum 1. Oktober 1823 auf das Hofgericht Gießen übertragen.[5] Das Personal übernahm der Staat, die Kosten für bereits pensionierte Mitarbeiter die Standesherrschaft.[6]

Instanzielle Zuständigkeit[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Justizkanzlei Hungen nachgeordnet waren zunächst die solmsischen Ämter, in denen Verwaltung und Rechtsprechung noch nicht getrennt waren. Staatlicherseits erfolgte die Trennung der Rechtsprechung von der Verwaltung im Großherzogtum 1821.[7] Es dauerte dann noch ein weiteres Jahr, bevor der Staat und die Standesherrschaft sich darauf einigten, die Reform auch in den solmsischen Landen durchzuführen.[8]

Der Justizkanzlei Hungen übergeordnet war das Hofgericht Gießen, das zweitinstanzliche, staatliche Gericht für die Provinz Oberhessen als dritte Instanz für den Bereich der Justizkanzlei. Hier wies der Instanzenzug für Rechtssuchende dadurch eine zusätzliche Instanz auf.

Örtliche Zuständigkeit[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Gerichtsbezirk der Justizkanzlei Hungen erstreckte sich über:

Amt
bis 1822/1823
Landgericht
ab 1822[9]
Familienzweig
Engelthal (nach 1803[10]) Landgericht Großkarben?[Anm. 3] Solms-Wildenfels
Grüningen Landgericht Hungen Solms-Braunfels
Hungen Landgericht Hungen Solms-Braunfels
Laubach Landgericht Laubach Solms-Laubach
Lich Landgericht Lich Solms-Hohensolms-Lich
Nieder-Weisel, Landgericht Lich Solms-Hohensolms-Lich
Nieder-Wöllstadt
mit Exklave Einartshausen
Landgericht Rödelheim[11]
Landgericht Laubach
Solms-Rödelheim
Rödelheim, Landgericht Rödelheim[12] Solms-Rödelheim
Utphe Landgericht Laubach Solms-Laubach
Wölfersheim Landgericht Hungen Solms-Braunfels

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Anmerkungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Fürstliche Linien Solms-Braunfels und Solms-Lich und gräfliche Linien Solms-Laubach, Solms-Rödelheim und Solms-Wildenfels (Heinrich Karl Wilhelm Berghaus: Das europäische Staatensystem, nach seinen geographisch-statistischen Hauptverhältnissen. Verlag Hoffmann, 1839, Seiten 353 ff – google books).
  2. Fürstin Henriette (1777–1851), Tochter von Ludwig Wilhelm Geldricus Ernst zu Bentheim und Steinfurt und Witwe des Fürsten Karl Ludwig Solms-Hohensolms-Lich (1762–1807) regierte damals die Standesherrschaft vormundschaftlich für ihren minderjährigen Sohn, Karl (1803–1824).
  3. Engelthal wird sowohl dem großherzoglichen Amt Altenstadt als auch der Standesherrschaft Solms zugeordnet (Engelthal, Wetteraukreis. In: LAGIS: Historisches Ortslexikon; Stand: 5. Oktober 2018).

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Reus, [ohne Seitenzählung], Abschnitt Standesherrliche Ämter und Patrimonialgerichte.
  2. Hartleben, S. 271.
  3. Die neue Landeseintheilung und Organisation der unteren Justiz und Verwaltungsbehörden – insbesondere in den fürstlich und gräflich Solmsischen Besitzungen betreffend vom 24. April 1822. In: Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt, Nr. 15, 10. Mai 1822, S. 182; Die neue Eintheilung des Landes in Landraths- und Landgerichtsbezirke betreffend vom 5. Juni 1823. In: Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt Nr. 20 vom 11. Juli 1823, S. 231f.
  4. Hartleben, S. 271.
  5. Die Auflösung der Großherzoglich Hessischen Fürstlich und Gräflich Solmsischen Gesamt-Justiz-Kanzlei zu Hungen betreffend vom 3. September 1823. In: Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt Nr. 29 vom 29. September 1823, S. 352
  6. Hartleben, S. 271.
  7. Die Eintheilung des Landes in Landraths- und Landgerichtsbezirke betreffend vom 14. Juli 1821. In: Großherzoglich Hessisches Ministerium des Inneren und der Justiz. (Hrsg.): Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt. 1821 Nr. 33, S. 403 ff. (Online bei der Bayerischen Staatsbibliothek).
  8. Die neue Landeseintheilung und Organisation der unteren Justiz und Verwaltungsbehörden – insbesondere in den fürstlich und gräflich Solmsischen Besitzungen betreffend vom 24. April 1822. In: Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt, Nr. 15, 10. Mai 1822, S. 182.
  9. Soweit nicht anders angegeben: Die neue Landeseintheilung und Organisation der untern Justiz und Verwaltungsbehörden – insbesondere in den fürstlich und gräflich Solmsischen Besitzungen betreffend vom 24. April 1822. In: Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt Nr. 15 vom 16. Mai 1822, S. 182.
  10. Ewald, S. 56, Nr. 964.
  11. Die neue Eintheilung des Landes in Landraths- und Landgerichtsbezirke betreffend vom 5. Juni 1823. In: Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt Nr. 20 vom 11. Juli 1823, S. 231f.
  12. Die neue Eintheilung des Landes in Landraths- und Landgerichtsbezirke betreffend vom 5. Juni 1823. In: Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt Nr. 20 vom 11. Juli 1823, S. 231f.