Michail Wiktorowitsch Sygar

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Michail Sygar (2023)

Michail Wiktorowitsch Sygar (russisch Михаил Викторович Зыгарь; Betonung: Michaíl Wíktorowitsch Sýgar, englische Schreibweise Mikhail Zygar; * 31. Januar 1981 in Moskau, Sowjetunion) ist ein russischer Journalist und Autor. Von 2010 bis 2015 war er Chefredakteur des unabhängigen russischen Fernsehsenders Doschd.

Biographie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Sygar studierte Internationale Journalistik am Staatlichen Moskauer Institut für Internationale Beziehungen. Fast zehn Jahre (2000–2009) berichtete Sygar als Kriegsreporter für die Russische Tageszeitung Kommersant.[1] Er machte Reportagen über Kriege in Irak, Libanon, Palästina, über Umbrüche in der Ukraine und Kirgizien, das Andijon-Massaker, Unruhen in Serbien und Kosovo. 2007 wurde eine Sammlung seiner Kriegsreportagen unter dem Titel Krieg und Mythos als Buch veröffentlicht.

2009 und 2010 war Sygar als stellvertretender Chefredakteur der russischen Ausgabe von Newsweek tätig.[2]

Von 2010 bis 2015 war Michail Sygar Chefredakteur des unabhängigen, regierungskritischen, russischen Fernsehsenders Doschd. Doschd erreichte damals monatlich bis 20 Millionen Zuschauer,[1] brach unter dem Druck des Kreml aber 2014 fast zusammen,[3] als er nur noch online empfangen werden durfte. Er berichtet seither nur noch via Internet, unterhalten durch ein Abonnementsystem, und musste seine Redaktion nach dem russischen Überfall auf die Ukraine 2022 ins Ausland verlegen. 2015 verließ Michail Sygar Doschd auf eigenen Wunsch, um an seinen Büchern und seinem neuen Projekt „Freie Geschichte“ zu arbeiten.

Am 25. Oktober 2022 heiratete Sygar seinen langjährigen Partner, den russischen Schauspieler Jean-Michel Scherbak, in Portugal.[4]

„1917. Freie Geschichte“[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im November 2016 leitete Michail Sygar ein multimediales Projekt „Freie Geschichte“ ein, ein neues Genre: Eine Online-Serie in Form von sozialen Medien. Aus Anlass des 100. Jahrestages der Oktoberrevolution nutzte ein Team von mehr als 30 Historikern und Journalisten authentische Dokumente wie Tagebücher, Memoiren und Briefe, um soziale Netzwerke von 1917 zu imitieren.[5] Das Projekt wurde vom russischen Webportal Yandex, der Bank Sberbank und dem russischen sozialen Netzwerk VKontakte finanziell und technologisch unterstützt. Die digitale Version inspirierte auch offline Partnerschaften: Ausstellungen in Moskau, einen Virtual-Reality Film in einer Moskauer Sberbank Filiale und ein Theaterstück im Moskauer Theater „Gogol-Zentrum“.

Exil[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nach Beginn des Überfalls auf die Ukraine am 24. Februar 2022 startete Sygar eine Onlinepetition gegen den Krieg. Kurze Zeit später reiste er aus und lebt seither im Exil in Berlin. Er ist Kolumnist des Spiegel.[6] Seit Mai 2022 moderiert er die Interviewsendung „Posle sawtra s Michailom Sygarem“ (dt. „Über morgen mit Michail Sygar“) im Berliner russischsprachigen TV-Sender OstWest.[7]

Werke[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Krieg und Mythos (2007). Eine Sammlung von Kriegsreportagen.
  • Gazprom: Das Geschäft mit der Macht (2008). Ein Werk über den russischen Erdgaskonzern, geschrieben gemeinsam mit Waleri Panjuschkin.[8]
  • Endspiel. Die Metamorphosen des Wladimir Putin (2015). Das Buch handelt von der politischen Geschichte des modernen Russlands, dem Weg Putins „vom Reformer zu dem Mann, den die Welt fürchtet“.[9] Sygar beschreibt die Metamorphosen Putins durch Erinnerungen der Politiker und Mächtigen, die deren Zeugen waren. Insgesamt führte Sygar fast 20 Interviews mit Spitzenpolitikern und Oligarchen.[10] Das Buch ist in Russland schnell zum Bestseller geworden. Die Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Aleksijewitsch nennt es „die erste überzeugende Beschreibung dessen, was in den letzten 20 Jahren in Russland geschehen ist. Ein wichtiges Buch und eine Gelegenheit, Informationen aus erster Hand zu bekommen.“[11] Laut Grünen-Politiker Werner Schulz, der die Präsentation des Buchs in Berlin besuchte,[12] ist das Buch eine „Pflichtlektüre für Kreml-Astrologen“.[13] Für Christian Esch von der Frankfurter Rundschau gleicht der Stil des Buches dem der US-amerikanischen Fernsehserie House of Cards.[14]
  • All the Kremlin’s Men (2016). Dieses Buch, schreibt der Guardian, handle von der Entourage im Kreml, welche in vorauseilendem Gehorsam versucht, die Wünsche des Präsidenten zu erraten. Gleichzeitig beschreibe es Putin als Garanten für deren Bereicherung.[15] Das Buch wurde ins Englische, Deutsche, Polnische, Bulgarische, Finnische, Chinesische und Rumänische übersetzt.[16]
  • Krieg und Sühne. Der lange Kampf der Ukraine gegen die russische Unterdrückung, Aufbau Verlag, Berlin 2023, ISBN 978-3-351-04182-3 (Originaltitel: War and Punishment, Scribner, New York 2023),
    eine Darstellung der Narrative, Mythen und propagandistischen Erzählungen, mit denen die jeweiligen Herrscher Russlands seit rund 350 Jahren ihren Machtanspruch über die Ukraine ideologisch rechtfertigen. Der Schwerpunkt des Buchs liegt auf den Jahren seit der Unabhängigkeit im Jahr 1991 und auf den Entwicklungen, die zu dem von Wladimir Putin befohlenen Angriffskrieg 2022 führten.[17]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Mikhail Zygar – Sammlung von Bildern

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b Michail Sygar: Russische Medien: Der Bürgerheld. Die Zeit, 30. April 2016, abgerufen am 22. Februar 2017.
  2. Benjamin Bidder: Kreml-Experte: „Putin hat keinen Masterplan“. Spiegel Online, abgerufen am 31. März 2024.
  3. Putin-kritischer TV-Sender Doschd sieht sich bedroht. In: Der Spiegel. 4. Februar 2014, abgerufen am 22. November 2021.
  4. Mikhail Zygar: Russland unter Wladimir Putin: Wir müssen schon jetzt das Russland der Zukunft schaffen. Kolumne. In: Der Spiegel. 29. Oktober 2022, abgerufen am 30. Oktober 2022.
  5. A Russian social-media site is reliving 1917. In: economist.com. 4. Februar 2017, abgerufen am 22. Februar 2017 (englisch).
  6. Michail Sygar | Autor. In: Der Spiegel. Abgerufen am 24. September 2022.
  7. „Posle sawtra s Michailom Sygarem“. In: Ostwest TV. Abgerufen am 24. September 2022.
  8. Thomas Hummitzsch: Gazprom. In: rezensionen.ch. 6. Oktober 2008, abgerufen am 22. Februar 2017.
  9. Michail Sygar: Endspiel. Kiepenheuer & Witsch, ISBN 978-3-462-04830-8 (kiwi-verlag.de [abgerufen am 22. Februar 2017]).
  10. Putin – der Mann, der gar nicht existiert. In: stern.de. 6. Oktober 2015 (stern.de [abgerufen am 22. Februar 2017]).
  11. Michail Sygar: Endspiel. Kiepenheuer & Witsch, abgerufen am 30. Oktober 2022.
  12. Michail Sygar: „Endspiel. Die Metamorphosen des Wladimir Putin“ | Buchvorstellung und Gespräch mit dem Autor. In: memorial.de. Archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 23. Februar 2017; abgerufen am 22. Februar 2017.
  13. Mathias Bölinger: Die Metamorphosen des Wladimir Putin. In: Deutsche Welle. 6. Oktober 2015, abgerufen am 22. Februar 2017.
  14. Christian Esch: Der kollektive Putin. In: Frankfurter Rundschau. 5. Januar 2016, abgerufen am 31. März 2024.
  15. John Kampfner: All the Kremlin’s Men: Inside the Court of Vladimir Putin – review. In: The Guardian, 3. Oktober 2016.
  16. Mikhail Zygar: All the Kremlin's Men. In: literary agency galina dursthoff. Archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 23. Oktober 2017; abgerufen am 22. Februar 2017.
  17. Vorstellung von Krieg und Sühne mit Presseschau im Online-Magazin Perlentaucher, 21. Oktober 2023.