Schiffahrtsgruppe

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Schiffahrtsgruppe war der Name einer Behörde, die 1916 im Deutschen Kaiserreich eingerichtet wurde und für den militärischen Transport über die Binnenschifffahrtswege zuständig war. Leiter der Behörde – auch der Nachfolgeorganisation „Schiffahrtsabteilung“ – war Kapitänleutnant Wilhelm Ulderup. Zunächst auf die besetzten Gebiete im Osten beschränkt, dehnte die Schiffahrtsabteilung ihre Tätigkeit auf das gesamte Reichsgebiet und alle besetzten Gebiete aus.

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Gründung der Schifffahrtsgruppe[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nach den ersten beiden Kriegsjahren 1914 und 1915 zeichnete sich ab, dass das deutsche Straßen- und Schienensystem den gewaltigen Anforderungen des Militärs nicht länger gewachsen war. Um vor allem die Eisenbahn zu entlasten, wurde im März 1916 die Gründung der „Schiffahrtsgruppe“ als zentrale Schifffahrtsbehörde für die militärische Truppenversorgung, den Truppentransport und allgemeine Logistik per Wasserweg beschlossen. Die Leitung der Gruppe wurde am 11. Mai 1916 dem Kapitänleutnant Wilhelm Ulderup übertragen, der mit der „Abteilung für Wassertransporte“ im deutsch besetzten Liepāja (zu deutsch Libau), damals russisch, heute Lettland, bereits eine in ihren Aufgaben vergleichbare Dienststelle der Seetransportabteilung des Reichsmarineamt geleitet hatte.[1] Die neugegründete Schifffahrtsgruppe war dem Chef des „Feldeisenbahnwesens“ beim stellvertretenden Generalstab in Berlin, Generalmajor Wilhelm Groener zugeordnet.[2] Aufgabe der von Berlin aus agierenden Schifffahrtsgruppe sollte gemäß Dienstanweisung die „ausgiebige Ausnutzung der See- und Binnenschifffahrtsstraßen für militärische Zwecke“ sein. Als vorderste Zuständigkeit wurden die Wasserwege „nach und von dem östlichen Kriegsschauplatz“ für den Nach- und Abschub und sonstige Transporte der deutschen „Armeen des Ostens“ festgelegt.[3] Zugleich war die Ausweitung der Zuständigkeit auf das gesamte Inland des Deutschen Reichs vorgesehen. Ziel war eine Entlastung der Eisenbahn und die Gewährleistung der Truppenversorgung, aber auch der Abtransport von Rohstoffen. Während mit der Schifffahrtsgruppe die militärische Transportschifffahrt im Osten behördlich zentral gesteuert werden konnte, waren solche einheitlichen Strukturen für die deutsch besetzten Gebieten im Westen zunächst nicht vorhanden. Erst gegen Ende des Jahres 1916 setzte sich hier sich die „Militär-Kanaldirektion“ in Brüssel als zentrales Organ in Belgien und Frankreich durch.[4]

Transportkrise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Zuge der „Transportkrise“ in der zweiten Jahreshälfte 1916, die bis ins Frühjahr 1917 andauern sollte, wuchsen die Aufgaben und Kompetenzen der Behörde. Die Schifffahrtsgruppe organisierte und vereinheitlichte schrittweise den Transport kriegswirtschaftlich wichtiger Güter wie Kohle u. Ä. auf den verschiedenen deutschen Binnenschifffahrtswegen, zunächst dem Rhein, Elbe und Oder. Dabei arbeitete die Schifffahrtsgruppe mit verschiedenen Kriegsrohstoff- und Kriegsgesellschaften und mit den großen Reedereieiunternehmen und Kleinschiffern zusammen, die Ulderup von der Bildung regional geordneter Betriebsverbände bzw. Kriegsvereinigungen zu überzeugen suchte. Am wichtigsten war unter letzteren die „Allgemeinen Verfrachtungsstelle Rheinschiffahrt GmbH“, die den Kohle-, Eisen-, Stahl- und Truppentransport auf dem Rhein regelte; ähnliche Allgemeinen Verfrachtungsstellen wurden im Märkischen und entlang der Oder und Elbe gebildet. Die Schifffahrtsgruppe gewann stark an behördlichem Umfang. Sie unterhielt Stützpunkte in Form von Nebenstellen und Schifffahrtsbeauftragten im Einzugsgebiet der Wasserstraßen im deutschen Ost- und Südosteuropa sowie auf dem Gebiet des Deutschen Reichs. Für den Abtransport von Erdöl und Getreide aus dem eroberten Rumänien wurde ferner als Unterorganisation die „Schifffahrtsgruppe Donau“ mit Sitz in Wien und Außenstellen in Bulgarien, Serbien und Ungarn gegründet.[5] Aufgrund der Transportkrise setzte sich in der Obersten Heeresleitung insgesamt die Auffassung durch, dass nur eine straffe Zentralisierung und die Ausnutzung bisher ungenutzter Kräfte, Entlastung bringen konnten. Im Herbst 1916 trat das Hindenburg-Programm zur totalen Mobilisierung für den totalen Krieg in Kraft. Hierfür wurde das „Preußische Kriegsamt“ unter Wilhelm Groener gegründet. Dieses war zuständig für Wirtschaft und Transportwesen. Die Schifffahrtsgruppe blieb aber dem Feldeisenbahnwesen untergeordnet, das in der Nachfolge Groeners ab dem 1. November 1916 von Erich von Oldershausen geleitet wurde.[6]

Mehr Befugnisse der Schifffahrtsabteilung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im März 1917 wurde die „Schifffahrtsgruppe“ zur „Schifffahrtsabteilung“ erhoben. Leiter blieb Ulderup. Alle noch bestehenden deutschen Schifffahrtsorganisationen wurden aufgelöst oder der Schifffahrtsabteilung unterstellt. Eine der neuen Hauptaufgaben war der Kapazitätenausgleich, was heißt, dass Überkapazitäten von der Elbe in die Ostgebiete geschickt wurden und winteruntaugliche Boote im Winter in wärmeren Gefilden zum Einsatz kamen. Bis 1918 wuchs die Schifffahrtsabteilung zu einer Behörde mit zwölf administrativen „Gruppen“ heran, damit einher ging ein Zuwachs des Budgets und der Mitarbeiter. Rund 4.300 Mitarbeiter zählte die Organisation 1917/18.[7] Bis zum Kriegsende 1918 hatte sich die Schifffahrtsabteilung zu einer „gewaltigen Organisation“ entwickelt, deren Einfluss sich über halb Europa erstreckte. Sie reichte von der estnischen Stadt Tartu bis zum Rhein-Marne-Kanal und von Sylt bis ans Schwarze Meer.[8]

Die Organisation in der Nachkriegszeit[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Mit dem Waffenstillstand am 11. November 1918 und dem Ende des Ersten Weltkriegs änderte sich die Situation für die Schifffahrtsabteilung grundlegend. Sie wurde dem „Reichsamt für wirtschaftliche Demobilmachung“ zugeordnet und bekam ganz andere Aufgaben: Überführung des Binnen- und Küstenschifffahrtswesens vom Kriegs- zum Friedenszustand, Sicherstellung der Rohstoffversorgung der Industrie, Rückführung deutscher Truppen aus dem Osten ins Reich und Heimbringung der alliierten und deutschen Kriegsgefangenen. Auch die Lebensmittelversorgung der Städte entlang Rhein und Ruhr gehörte zu ihren Aufgaben.[9] Per Kabinettsbeschluss vom 26. September 1919 wurde die Schifffahrtsabteilung mit Wirkung zum 1. Oktober dem Reichsverkehrsministerium als eine selbstständige Abteilung unterstellt. Am 1. April 1921 wurde die Schifffahrtsabteilung aufgelöst.[10] Wilhelm Ulderup hatte bereits am 1. November 1920 seinen Abschied genommen. In der Rückschau bezeichnete er die von ihm organisierte Schifffahrtsabteilung als einen Reedereibetrieb von 50 Seeschiffen und 500 Binnenschiffen, die dem Feld-Eisenbahnwesen angegliedert war.[11]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Kamp, Michael / Deppe, Ina / Trecker, Max: Wilhelm Ulderup (1876 bis 1959), Kapitän, Verkehrsexperte und Unternehmer, München 2018.
  • Napp-Zinn, Anton Felix: Rheinschiffahrt 1913–1925: Ihre wirtschaftliche Entwicklung unter dem Einfluss von Weltkrieg und Kriegsfolgen, Berlin/Heidelberg 1925.
  • Meyer, Günther: Die deutsche militärische Binnenschifffahrt im Ersten Weltkrieg, in: Schiff und Zeit/Panorama maritim 44 (1996), S. 8–18.
  • Rohde, Horst: Das deutsche Feldeisenbahnwesen im Ersten Weltkrieg, Bd. 2: Die Eisenbahnen vom Oktober 1914 bis zum Kriegsende, Hamburg/Berlin/Bonn 2010,

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Kamp, Michael, Deppe, Ina und Trecker, Max: Wilhelm Ulderup (1876 bis 1959), Kapitän, Verkehrsexperte und Unternehmer, München 2018, S. 137–144.
  2. Sarter, Adolph: Die deutschen Eisenbahnen im Kriege, Stuttgart/Berlin/Leipzig 1930, S. 63 f; Groener, Wilhelm: Lebenserinnerungen. Jugend, Generalstab, Weltkrieg, Göttingen 1957, S. 143 f.
  3. Chef des Feldeisenbahnwesens: Denkschrift über Entstehung, Einrichtung und Tätigkeit der Schifffahrtsabteilung beim Chef des Feldeisenbahnwesens, Berlin 1918, S. 7.
  4. Kamp, Deppe und Trecker: Wilhelm Ulderup, S. 145 f.
  5. Kamp, Deppe und Trecker: Wilhelm Ulderup, S. 152–156.
  6. Knipping: Eisenbahnen im Ersten Weltkrieg, S. 345; Zu Oldershausen vgl. Laparra, Jean-Claude/Hesse, Pascal: L’envers des parades: le commandement allemand: réalités et destins croisés, 1914–1918, Saint-Cloud 2011, S. 166–167.
  7. Kamp, Deppe und Trecker: Wilhelm Ulderup, S. 157 ff.
  8. Meyer: Die deutsche militärische Binnenschifffahrt, S. 11.
  9. Kamp, Deppe und Trecker: Wilhelm Ulderup, S. 167 f und 185.
  10. Kamp, Deppe und Trecker: Wilhelm Ulderup, S. 197, 209.
  11. LArch Berlin, A Rep. 262, Nr. 22, Wilhelm Ulderup an das Auswärtige Amt vom 25. Januar 1929.