Sebastian Scheerer

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Sebastian Scheerer
Sebastian Scheerer (2000)

Sebastian Scheerer (* 14. November 1950 in Lübeck) ist ein deutscher Kriminologe und Soziologe.

Akademischer Werdegang[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nach dem Studium der Rechts- und Erziehungswissenschaft an den Universitäten Köln, Genf und Münster schloss Scheerer sein Studium in Münster als Diplom-Pädagoge ab. Danach promovierte er an der Universität Bremen zum Dr. jur.

An der Universität Frankfurt habilitierte er sich für Soziologie. Seit 1988 ist Scheerer Professor für Kriminologie an der Universität Hamburg, inzwischen als Emeritus. Er war zudem geschäftsführender Direktor des Instituts für Kriminologische Sozialforschung.

Arbeitsfelder[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Scheerer war zunächst im Sinne Fritz Sacks an der Begründung und Verbreitung der Kritischen Kriminologie aus dem Geist der Kriminalsoziologie und des Symbolischen Interaktionismus beteiligt. Er wurde schließlich auch Sacks Nachfolger am IKS.

In den 1980er Jahren befasste er sich intensiv mit Fragen der Drogenforschung und -politik, wandte sich dann aber davon ab, als man mit der Akzeptierenden Drogenhilfe auf halbem Wege (zur Legalisierung) stehen geblieben war. 1997 verfasste Scheerer zusammen mit Henner Hess die Skizze einer konstruktivistischen Kriminalitätstheorie, in der er sich teilweise (im Mikrobereich seines Theorieansatzes) von den Grundannahmen der Kritischen Kriminologie abwendet und auch auf ätiologische Kriminalitätserklärungen zurückgreift. Seit der Debatte um die konstruktivistische Kriminalitätstheorie publiziert Scheerer kaum noch im Organ der Kritischen Kriminologie Kriminologisches Journal, setzt jedoch – gemeinsam mit Henner Hess – seine Bemühungen um eine allgemeine theoretische Begründung der Kriminologie fort. Zusammen mit Hess gilt er in Teilen der deutschsprachigen Kritischen Kriminologie daher inzwischen als Opposition.[1]

Einen weiteren Arbeitsschwerpunkt Sebastian Scheerers bildet seit ca. 1988 die Terrorismusforschung. Darüber hinaus tritt Scheerer kriminalpolitischer Hinsicht als Vertreter des Abolitionismus im Sinne einer Zurückdrängung bzw. Abschaffung des staatlichen Strafrechts in Erscheinung.[2]

U.a. im Rahmen eines DFG-Forschungsprojektes ergründete Scheerer mit seinem Team sodann vor dem Hintergrund der Entdeckung des Nachlasses Franz Exners im Jahr 2004[3] auch die bis dahin erst lückenhaft erforschte Geschichte der deutschsprachigen Kriminologie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.[4]

Neben seiner Mitgliedschaft im Schildower Kreis, einem Expertennetzwerk, das gegen die Drogenprohibition argumentiert[5], ist er auch Sprecher beim LEAP (Law Enforcement Against Prohibition) Deutschland e. V., welcher sich ebenfalls für die Legalisierung von Drogen einsetzt.[6] 2013 unterzeichnete er auch den Appell FÜR Prostitution für die Stärkung der Rechte und für die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen von Menschen in der Sexarbeit, der sich gegen eine weitere Kriminalisierung und Stigmatisierung der Sexarbeit wendet. Gegenüber der FAZ erläuterte er: „Mit wem ich wann und wie sexuell verkehre, ist eine Angelegenheit des Privatlebens. Auch dann, wenn eine Frau das zu ihrem Beruf macht.“[5]

Schriften (Auswahl)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • mit Dietmar K. Pfeiffer: Kriminalsoziologie. Eine Einführung in Theorien und Themen. Kohlhammer, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1979.
  • Die Genese der Betäubungsmittelgesetze in der Bundesrepublik Deutschland und in den Niederlanden. Schwartz, Göttingen 1982, ISBN 3-509-01272-0.
  • mit Henner Hess/Martin Moerings/Dieter Paas/Heinz Steinert: Angriff auf das Herz des Staates. Soziale Entwicklung und Terrorismus, 2 Bände, Frankfurt am Main 1988
  • Sucht. rororo spezial, Reinbek 1995, ISBN 3-499-16367-5.
  • Kriminalität der Mächtigen, in: Kaiser/Kerner/Sack/Schellhoss (Hgg.), Kleines Kriminologisches Wörterbuch, Heidelberg ³1993, S. 246–249
  • mit Henner Hess: Was ist Kriminalität? Skizze einer konstruktivistischen Kriminalitätstheorie, in: Kriminologisches Journal, Jg. 29, 1997, S. 83–155
  • Die Zukunft des Terrorismus. Drei Szenarien. Zu Klampen, Lüneburg 2002, ISBN 3-934920-16-0.
  • mit Henner Hess: Theorie der Kriminalität, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 43, 2003, S. 69–92.
  • Hrsg. mit Henner Hess und Henning Schmidt-Semisch: Die Sinnprovinz der Kriminalität. Zur Dynamik eines sozialen Feldes. Springer VS, Wiesbaden 2014. ISBN 978-3-658-03478-8.
  • Against Penitentiaries (mit Johannes Feest) in: NO Prison" (Hrsg. von Massimo Pavarini und Livio Ferrari) London 2018.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Ihr Buchbeitrag Radikale Langeweile wird von Helge Peters in Einleitungstext Langweiliges Verbrechen. Versuch einer Erklärung als oppositionell etikettiert. Vgl. Peters und Michael Dellwing (Hrg.): Langweiliges Verbrechen. Warum KriminologInnen den Umgang mit Kriminalität interessanter finden als Kriminalität, Wiesbaden 2011.
  2. Zuletzt in: Sebastian Scheerer, Kritik der strafenden Vernunft, in: Ethik und Sozialwissenschaften, Jg. 12, 2001, S. 69–83
  3. vgl. die verlinkten Informationen zu einer Ausstellung in der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg aus dem Jahr 2007.
  4. siehe die Beschreibung des Projekts Franz Exner (1881–1947) und die deutsche Kriminologie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf den Seiten der DFG
  5. a b Die Freiheit der Freier, die Freiheit der Frauen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 14. November 2013, abgerufen am 28. November 2013.
  6. LEAP (Law Enforcement Against Prohibition) Deutschland e.V.: Vorstand, Mitglieder: Sprecher*innen, Mitglieder: Unterstützer*innen. Law Enforcement Against Prohibition, abgerufen am 4. Dezember 2019.