Fritz Tobias

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Fritz Tobias (* 3. Oktober 1912 in Charlottenburg; † 1. Januar 2011 in Hannover) war ein deutscher Autor und Ministerialbeamter. Er war zuletzt Ministerialrat im Niedersächsischen Innenministerium, wo er der Abteilung Verfassungsschutz Niedersachsen angehörte. In den 1960er Jahren wurde er durch seine Aussagen zum Reichstagsbrand bekannt.[1]

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Tobias wuchs in Berlin als Sohn eines sozialdemokratischen Porzellanmalers auf. 1926 zog die Familie nach Hannover. In den 1920er Jahren absolvierte Tobias eine Buchhändlerlehre. Er hatte zwei Brüder, die nach 1945 in der DDR lebten.

1933 verlor er nach eigenen Angaben seine Stellung als Gehilfe bei einer sozialdemokratischen Volksbuchhandlung und arbeitete dann von 1934 bis 1940 als Kanzleivorsteher bei Rechtsanwälten in Hannover. Im April 1940 wurde Tobias zum Militärdienst eingezogen und nahm bis 1945 am Zweiten Weltkrieg teil. Von 1940 bis 1942 tat er Dienst in den besetzten Niederlanden (Ortskommandanturen Rotterdam, Roermond, Arnheim sowie in Dordrecht, Gorinchem und Hilversum). Von 1942 bis 1943 war er in Stettin stationiert, 1943 in Südrussland (Nowo Alexandrowka und Minsk) und von 1944 bis 1945 in Italien (Pesaro, Rimini, Ravenna, Ancona). Seit Juli 1942 hatte er den Rang eines Feldwebels. Eigenen Angaben zufolge erlitt er im Krieg mehrere Verwundungen, zuletzt im April 1945 in Norditalien. Im April 1945 kam er in oder bei Ancona in amerikanische Kriegsgefangenschaft. In dieser verblieb er bis Ende 1945.

Von verschiedener Seite – so von Harry Schulze-Wilde – wurde später die Behauptung laut, Tobias habe während des Krieges der Geheimen Feldpolizei angehört,[2] was Tobias als „frei erfunden“ von sich wies.[3] Von ihm angekündigte gerichtliche Klagen wegen „ehrabschneidender Anwürfe“ machte Tobias ebenso wenig wahr wie die von ihm in Aussicht gestellte Veröffentlichung seiner Militärakte bei der Deutschen Dienststelle. Alexander Bahar behauptete in einer Publikation von 2016, er habe von einem Bekannten Tobias’ namens Friedrich Winterhager erfahren, dass Tobias ihm erklärt habe, dass er während des Krieges „truppenpolizeiliche Aufgaben“ in den besetzten Niederlanden in einem Wehrmachtsstab ausgeübt habe, u. a. einige Male an der Fahndung nach Deserteuren teilnehmen habe müssen und dabei das Abzeichen der Feldpolizei getragen habe.[4]

Im Januar 1946 kehrte er nach Hannover zurück, wo er seine Mitgliedschaft in der SPD erneuerte.

Karriere im öffentlichen Dienst des Landes Niedersachsen (1946 bis 1974)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

1946 trat Tobias in den öffentlichen Dienst ein. In den ersten Nachkriegsjahren war er unter anderem an der Entnazifizierung in Niedersachsen beteiligt. Im Minderheitenbericht des 4. Parlamentarischen Untersuchungsausschusses vom 7. Dezember 1954 heißt es, er sei 1946/1947 stellvertretender Vorsitzender eines Hauptausschusses für Entnazifizierung gewesen und 1947 als Referent in das Niedersächsische Ministerium für die Entnazifizierung gekommen.

Der Spiegel-Redakteur Peter-Ferdinand Koch gab 2011 an, dass der britische Secret Intelligence Service (SIS) Tobias in der Gefangenschaft rekrutiert und Ende 1945 „in das niedersächsische Innenministerium bugsiert“ habe, wo er im Auftrag der Briten „hohe SS-Offiziere verhört“ habe, um dem SIS auf Basis dieser Vernehmungen „kompetente NS-Nachrichtendienstler“ zu empfehlen. Dies habe Tobias zum Beispiel im Fall von Horst Kopkow getan.[5] Besondere Förderung soll er zudem durch Karl Hoffmann, der von 1947 bis 1950 als Staatskommissar für die Entnazifizierung in Niedersachsen amtierte und 1950 Ministerialrat im Niedersächsischen Innenministerium erhalten haben, den er seit den frühen 1930er Jahren kannte.[6]

1951 wurde Tobias als Referent für Nachrichtenpolizei (TO. A III) in das Niedersächsische Ministerium des Innern übernommen, kurz danach leitete er das Polizeireferat. 1952 wurde er zum Regierungsrat unter Berufung in das Beamtenverhältnis vorgeschlagen. Diese Ernennung wurde jedoch aus beamtenrechtlichen Bedenken der Staatskanzlei zunächst zurückgestellt, da seine Vorbildung nicht geeignet erschien, ihm eine leitende Stellung in einem Ministerium zu übertragen. Spätestens 1954 war er Leiter eines wichtigen Polizeireferates im Ministerium. Hersch Fischler zufolge war Tobias als Referent mit dem Aufbau der Nachrichtenpolizei Niedersachsen betraut.[7]

1955 wurde Tobias im Polizeireferat aufgrund seiner Verwicklung in eine Intrige abgelöst und zum Referat Katastrophenschutz/Zivilschutz zwangsversetzt. Nach der Rückkehr von Friedrich Wilhelm Kopf in das Amt des Ministerpräsidenten erlebte er einen Karriereschub: Vom 1. Juli 1959 bis zu seiner vorzeitigen Pensionierung im Alter von 62 Jahren zum 1. Januar 1975 war er im Verfassungsschutz Niedersachsen tätig,[8] der in Niedersachsen zeitweise als Landesamt für Verfassungsschutz und länger als Abteilung des Innenministeriums organisiert war.

Im Verwaltungsdienst wurde er schließlich bis zum Ministerialrat befördert.

Forschungen zum Reichstagsbrand[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Öffentlich bekannt wurde Tobias als Autor der elfteiligen Serie „Stehen Sie auf, van der Lubbe!“, die 1959/60 im Spiegel erschien.[9] Darin und in seinem 1962 erschienenen Buch zum Reichstagsbrand vertrat Tobias die bis heute umstrittene These, der niederländische Anarchokommunist Marinus van der Lubbe sei beim Reichstagsbrand am 27. Februar 1933 Alleintäter gewesen. Dabei stützte er sich u. a. auf die Aussagen des damals ermittelnden Kriminalkommissars und späteren SS-Sturmbannführers Walter Zirpins sowie eigene Untersuchungen.[10] Tobias’ Spiegel-Serie zum Reichstagsbrand wurde von dem ehemaligen Pressechef im NS-Außenministerium Paul Karl Schmidt redigiert.[11] Peter-Ferdinand Koch behauptet, Tobias habe die Kontakte von Paul Karl Schmidt zum Spiegel hergestellt.[5]

Tobias wurde zu seinem 95. Geburtstag am 3. Oktober 2007 unter anderem mit einem großen Artikel der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung gewürdigt, der hervorhob, dass er mit seiner Alleintäterthese „die deutsche Historikerschaft in zwei Lager teilt“.[12] Am Neujahrstag 2011 verstarb Tobias im Alter von 98 Jahren in Hannover. „Zeitlebens schimpfte er auf seine Widersacher“, schrieb Der Tagesspiegel in seinem Nachruf.[13]

In jüngerer Zeit äußerte der Journalist Anton Maegerle Kritik an Tobias, dieser habe „Kontakte zu rechtsextremen Kreisen“ gepflegt, beispielsweise mit dem Holocaust-Leugner David Irving in Verbindung gestanden. 1998 war er Beiträger für die Festschrift „Wagnis Wahrheit. Historiker in Handschellen?“ zu Ehren Irvings und stellte sich 2007 dem rechtsextremen österreichischen Magazin Die Aula für ein Interview zur Verfügung.[10]

Nachlass[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nach Tobias’ Tod wurde sein Privatarchiv zunächst von seiner Lebensgefährtin verwaltet. Nachdem auch diese 2013 gestorben war, einigte sein Sohn sich mit dem Bundesarchiv darauf, Tobias’ Unterlagen an dieses zu übereignen.

Von 2015 bis Herbst 2017 ordnete und systematisierte das Bundesarchiv den Nachlass. Aus rund 3.000 übergebenen Ordnern wurde nach der Aussortierung und Kassierung von Doubletten und nicht archivwürdigem Material, so z. B. anderweitig überlieferte Zeitungsausschnitte und Material zu wissenschaftlich uninteressanten Themen, eine zeitgeschichtliche Sammlung mit 723 Akteneinheiten gebildet, die seit 2018 als Zeitgeschichtliche Sammlung 163 (Zsg 163) im Bundesarchiv zur Benutzung zugänglich ist.

Im Juli 2019 fand sich in Tobias’ Papieren eine eidesstattliche Erklärung des SA-Angehörigen Martin Lennings, die die These des Einzeltäters beim Reichstagsbrand zu widerlegen scheint. Nach Auffassung des Redaktionsnetzwerks Deutschland ignorierte Tobias dieses Dokument, um seine Theorie der Einzeltäterschaft nicht zu gefährden und so Karrieren ehemaliger Nazis zu schützen.[14][15][16]

Privates[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Tobias war verheiratet und hatte einen Sohn. Nach dem Tod seiner Ehefrau lebte er in seinen letzten Lebensjahren mit der Witwe des Journalisten Hans-Jürgen Wiehe zusammen. 2002 trat er aus der SPD aus.

Schriften[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Artikel-Serie
Monographien
Aufsätze
  • Der angebliche »positive Beweis« für die NS-Brandstifterschaft durch die »wissenschaftliche Dokumentation«, Band 2. In: Uwe Backes, Karl-Heinz Janßen, Eckhard Jesse, Henning Köhler, Hans Mommsen, Fritz Tobias: Reichstagsbrand – Aufklärung einer historischen Legende. Piper, München/Zürich 1986, ISBN 3-492-03027-0, S. 115–166.
  • Auch Fälschungen haben lange Beine. Des Senatspräsidenten Rauschnings „Gespräche mit Hitler“. In: Karl Corino (Hrsg.): Gefälscht! Betrug in Politik, Literatur, Wissenschaft, Kunst und Musik. Greno, Nördlingen 1988, S. 91–105.
  • Ludendorff, Hindenburg, Hitler. Das Phantasieprodukt des Ludendorff-Briefes vom 30. Januar 1933. In: Uwe Backes, Eckhard Jesse, Rainer Zitelmann (Hrsg.): Die Schatten der Vergangenheit. Impulse zur Historisierung des Nationalsozialismus. Propyläen, Frankfurt am Main 1990, S. 319–343.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Alexander Bahar, Wilfried Kugel: „Wer ist Fritz Tobias?“ In: Dies.: Der Reichstagsbrand. Wie Geschichte gemacht wird. edition q, Berlin 2001, S. 778–785.
  • Leonhard Schlüter: Die Große Hetze. Der niedersächsische Ministersturz. Ein Tatsachenbericht zum Fall Schlüter. 1958, S. 143.
  • Klaus Wallbaum: Der alte Mann und das große Feuer. Am Mittwoch wird Fritz Tobias 95 Jahre alt – einer, der die Historikerschaft in zwei Lager teilt. In: Hannoversche Allgemeine Zeitung, 2. Oktober 2007.
  • Heinrich Zankl: Politisches Feuer. Historikerstreit um Reichstagsbrand. In: Heinrich Zankl: Kampfhähne der Wissenschaft. Kontroversen und Feindschaften. Wiley-VCH-Verlag, Weinheim 2012, ISBN 978-3-527-32865-9, S. 257–265.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Ein Feuer im Reichstag und ein Täter aus Holland. In: FAZ, 7. Januar 2011, S. 34.
  2. Der Monat, Juli 1962, Heft 166, S. 90.
  3. Der Monat, Oktober 1962, Heft 169, S. 90.
  4. Wilfried Kugel: "Die Reichstagsbrandstiftung. verschwörungs-theorien und eine echte Verschwörung", in: Zeitschrift für Anomalistik, Bd. 16 (2016), S. 150.
  5. a b Peter-Ferdinand Koch: Enttarnt – Doppelagenten. Namen, Fakten, Beweise. Ecowin-Verlag. Salzburg 2011, ISBN 978-3-7110-0008-8, S. 219.
  6. Hett: Reichstag, S. 208.
  7. Hersch Fischler: Neues zur Reichstagsbrandkontroverse. In: Dieter Deiseroth (Hrsg.): Der Reichstagsbrand und der Prozess vor dem Reichsgericht. Tischler, Berlin 2006, S. 115.
  8. Christian Bartels: Suche nach Wahrheit. Der Störenfried. In: Der Tagesspiegel, 31. Juli 2010.
  9. Erste Folge: „Stehen Sie auf, van der Lubbe!“ Der Reichstagsbrand 1933 – Geschichte einer Legende. In: Der Spiegel 43, 21. Oktober 1959, S. 45–60.
  10. a b Anton Maegerle: Vom Obersalzberg bis zum NSU. Die extreme Rechte und die politische Kultur der Bundesrepublik 1988–2013. NS‐Verherrlichung, rassistische Morde an Migranten, Antisemitismus und Holocaustleugnung. Edition Critic, Berlin 2013, ISBN 978-3-9814548-6-4, S. 304ff.
  11. Christian Plöger: Von Ribbentrop zu Springer. Zu Leben und Wirken von Paul Karl Schmidt alias Paul Carell. Marburg 2009, ISBN 978-3-8288-2136-1, S. 322–336 (zugleich Diss. phil. Universität Münster 2009); Wigbert Benz: Paul Carell. Ribbentrops Pressechef Paul Karl Schmidt vor und nach 1945. Berlin 2005, ISBN 3-86573-068-X, S. 69–75.
  12. Klaus Wallbaum: Der alte Mann und das große Feuer. Am Mittwoch wird Fritz Tobias 95 Jahre alt – einer, der die Historikerschaft in zwei Lager teilt. In: Hannoversche Allgemeine Zeitung, 2. Oktober 2007.
  13. Der streitbare Reichstagsbrand-Forscher. Zum Tod von Fritz Tobias. In: Der Tagesspiegel Online, 8. Januar 2011 (Nachruf).
  14. Erklärung von SA-Mann entdeckt. Waren Nazis am Reichstagsbrand beteiligt? Als 1933 der Reichstag brannte, verurteilten die Nazis einen Holländer zu Tode - und nutzten die Gelegenheit, um die Grundrechte außer Kraft zu setzen. Neu aufgetauchte Dokumente legen indes eine Mittäterschaft der Nazis nahe. Nicht weniger brisant: Warum dies so lange unentdeckt blieb. In: n-tv. 27. Juli 2019, abgerufen am 31. Mai 2023.
  15. Conrad von Meding, Axel Rahmlow: Die „Legende“ vom Einzeltäter wackelt erheblich. Am Anfang der Machtergreifung der Nazis stand der Reichstagsbrand. Lange war die Annahme eines Alleintäters populär. Journalist Conrad von Meding hält die für eine Schutzbehauptung – und kann seine Zweifel belegen. In: Deutschlandfunk. 26. Juli 2019, abgerufen am 31. Mai 2023.
  16. Reichstagsbrand – Erklärung von SA-Mann legt NS-Beteiligung nahe. In: Kölner Stadtanzeiger. 26. Juli 2019, abgerufen am 31. Mai 2023.