Emma Braslavsky

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Emma Braslavsky stellt auf dem Erlanger Poetenfest 2016 ihren Roman „Leben ist keine Art, mit einem Tier umzugehen“ vor.

Emma Braslavsky (geb. Kathrin Emma Magerl; * 2. Juni 1971 in Erfurt) ist eine deutsche Schriftstellerin und Kuratorin. Ihr tragikomischer Debütroman Aus dem Sinn (2007) wurde mehrfach ausgezeichnet. Als Kuratorin zeichnete sie verantwortlich für interdisziplinäre Ausstellungen. Seit 2010 schreibt und produziert sie gemeinsam mit ihrem Bruder, dem Musiker Alexander Magerl, die abendfüllende Hörcomic-Serie Agent Zukunft.

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Emma Braslavsky (mit vollem bürgerlichen Namen Kathrin Emma) wurde in Erfurt geboren. Ihr Vater hatte zwei Jahre vor ihrer Geburt einen Gedächtnisverlust erlitten und verbrachte zur Rehabilitation viel Zeit in einer Nervenheilanstalt. Ihre Mutter, die damals als Buchhalterin arbeitete, gab das Kind in die Obhut der Großmutter väterlicherseits.[1]

Nach der zweiten Klasse schickte eine Kommission sie auf ein Gymnasium mit Fremdsprachenprofil. Den Großteil ihrer Jugend verbrachte sie als Mitglied des damaligen Erfurter Ti(c)k-Jugendtheaters auf der Bühne. Sie spielte die Martha in der mehrfach preisgekrönten Inszenierung von Frank Wedekinds „Frühlingserwachen“ (Regie: Karlheinz Krause, Co-Regie & Producerin: Renate Lichnok). Mit 14 tanzte sie hin und wieder am Wochenende in einem Tanzensemble für Modern Dance am Weimarer Nationaltheater. Als sie 15 Jahre alt war, starb ihre Großmutter. Über ihre Jugend sagte Braslavsky selbst: „Drei Tatsachen haben mich davor bewahrt, an Klebstofftuben zu schnüffeln: das Theater, die großartige Lichnok und Goethes Faust.“

Im Frühsommer 1989 gelang ihr die Flucht aus der DDR.[1] Es folgten viele Ortswechsel, zwei Jahre in München, ein Jahr in Rom, ein Monat Paris. 1993 ging Braslavsky nach Berlin und nahm ein Studium der Fremdsprachlichen Philologien und Südostasienwissenschaften auf. 1994 machte sie ein Lektorats-Praktikum bei Tor Books (St. Martin’s Press) in New York. 1995 studierte sie ein Semester an der Lomonossow-Universität in Moskau, 1996 unternahm sie eine ausgedehnte Reise durch Sibirien, China und Vietnam. 1997 ging sie mit einem DAAD-Forschungsstipendium an die Vietnam National University Ho Chi Minh City, College of Social Sciences and Humanities (Vietnam). 1998 verbrachte sie ein Semester in Tel Aviv. 1999 erlangte sie den Magister Artium an der Humboldt-Universität Berlin.

Es folgten monatelange Reisen nach Südostasien und Südeuropa.

2001 heiratete sie den israelischen Künstler und Kurator Noam Braslavsky, mit dem sie seit 1997 liiert war. Das Paar hat eine Tochter (* 2003) und lebt in Berlin.[1]

Zwischen 2003 und 2008 leitete sie gemeinsam mit ihrem Mann den Kunstverein „Galerie der Künste e.V.“ in Berlin.[2] In dieser Zeit entwickelte sie große interdisziplinäre Ausstellungsformate wie I House You oder zivilgeneratur, zeigte junge und renommierte Künstler aus aller Welt und begann, über zeitgenössische Kunst zu schreiben. Ihre Essays (z. B. über Uri Katzenstein) sind international in Künstler- und Ausstellungskatalogen erschienen. Gemeinsam mit Noam Braslavsky (der künstlerischer Leiter des Vereins war) arbeitete sie an innovativen Ausstellungsformaten wie The Murakami Collection (2007)[3]

Zwischen 2004 und 2006 war sie zudem freie Dozentin für Medienwissenschaften und externe Betreuerin (u. a. an der Universität Bologna) für den Bereich Kunstpsychologie (im Besonderen zum Thema Eskapismus).[4]

Zwischen 2011 und 2014 leitete sie die Young Talent Academy Sprachlabor & Erzählwerkstatt, eine Talentschmiede für Kinder und Jugendliche zwischen 10 und 19 Jahren.[5]

Ihr 2019 erschienener Roman „Die Nacht war bleich, die Lichter blinkten“ ist sowohl eine Art Kriminalroman als auch ein dystopisches Berlin-Porträt der mittelfristigen Zukunftsverhältnisse im fiktiven Jahr 2060. Produkte der Neurorobotik und künstlichen Intelligenz sind fester Bestandteil des Großstadtalltags, es herrscht ein radikaler Individualismus und zugleich geschehen in dieser Stadt fünfzig Suizide pro Tag. Welche Probleme generieren vor diesem Hintergrund welche Problemlösungsansätze, das erzählt der Roman auf spannende Weise.[6] Das Hörspiel wurde 2023 mit dem Kurd-Laßwitz-Preis ausgezeichnet.[7] Eine Nebenfigur dieses Romans greift die Figur der künstlichen Intelligenz Tom aus Braslavskys Erzählung „Ich bin dein Mensch“ wieder auf, deren Überreste nun in einer KI namens Goran weiterexistieren. Diese Erzählung diente auch als Vorlage für den gleichnamigen Film von Maria Schrader.[8]

Kritik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Literaturkritikerin Maike Albath ordnet Braslavsky als „Vertreterin eines neuen Realismus“ ein, „der über die unmittelbar sichtbare Wirklichkeit hinaus geht und sämtliche Geschehnisse per Röntgenblick durchdringt. Sie setzt alles in ein überscharfes Licht und stellt die vielen Facetten der faktischen Ereignisse heraus: Braslavskys Wirklichkeit ist ein überaus vielschichtiges und widersprüchliches Gebilde.“[9] Sie nennt sie eine „Vertreterin der Unmittelbarkeit“, ihr Sprachstil sei vom Rhythmus der Plötzlichkeit durchdrungen. Ihre Romane sind polyphone Gebilde. Braslavsky „kriecht hinein in ihre Figuren mitsamt ihren Emotionen und Ausdrucksweisen“. Albath hebt sie heraus aus der schreibenden Gruppe ihrer Generationsgenossen, sie habe nicht diese lakonische Stimme nach Tradition von Raymond Carver, die den meisten ihrer Kollegen anhafteten. „Ihre Syntax ist komplexer, bildgesättigt, ihr Ton ist nicht gleichmäßig und temperiert, sondern immer wieder aufbrausend und überraschend.“ Denis Scheck bezeichnet ihren Erstlingsroman als „ein großes, auch gelungenes Formexperiment“, das ihn „von der ersten Seite in den Bann geschlagen hat“. Susanne Schulz schreibt im Nordkurier: "Inmitten der Lobeshymnen auf Emma Braslavskys Debüt fallen die kritischen Stimmen erstaunlich gegensätzlich aus: Mal wird zu viel "allgemeine Heiterkeit" auf Kosten der ernsteren Episoden moniert, mal erscheint das Buch zu "betulich-versonnen", mal mit "zu viel politischer Moral" versehen. Oft wird ihr der sprachliche Überschwang vorgeworfen, dann sei sie da wieder nicht weit genug gegangen. Das Buch sei "überfrachtet", meinte das Bücher-Magazin. Sie wolle zu viel, schrieb die Welt. Marius Meller sagte einen prägenden Satz im Deutschlandradio Kultur: "Emma Braslavsky ist eine ungemein begabte Debütantin, die gleich mit dem ersten Buch schwerste Gewichte stemmt – und doch federleichte, urkomische Prosa komponiert."

Werke[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Romane[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Erzählungen (Auswahl)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Meereskunde, In: Museum der Langsamkeit, Literaturhaus Wurfpost, Freiburg 2020
  • Ich bin dein Mensch. In: 2029. Geschichten von morgen (Hg. S. Brandt, C. Granderath, M. Hattendorf), suhrkamp taschenbuch, Berlin 2019, ISBN 978-3-518-47029-9.
  • Die Technologie meines Todes. In: Deutschland 2089, btb München 2010, ISBN 978-3-442-74188-5.

Essays[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Innen(an)sichten, dreimal, Katalogtext, In: Noam Braslavsky. Zuflucht(t)räume 0-II (deutsch/englisch), Berlin 2003
  • zivilgeneratur, 9 philosophische Essays über neun Arbeiten zur Sprache der zivilen Evolution, Bulletin p#1 des papirossa - netzmuseums für sprache, Berlin 2004
  • Die Wohnung des Regisseurs. Untersuchungsbericht über einen vergessenen Freund. In: Bulletin p#2 des papirossa - netzmuseum für sprache, Berlin 2005
  • Caution! Suspicions about Templars and tomatoes. An Epiphany Inspired by Uri Katzenstein‘s Video Work ‚Azoi‘, Katalogtext, Berlin 2005
  • The Ocean Does Not Respond to Us. The Transcendence of Time in Katzenstein’s Video Work ‚Hope Machines’, Katalogtext, Berlin 2007.[10]
  • The Murakami Collection. Matthew Barney, Joseph Beuys, Maurizio Cattelan, Gilbert & George, Félix González-Torres, Damien Hirst, Jenny Holzer, Jeff Koons, Thomas Schütte, Hiroshi Sugimoto, Rachel Whiteread, Katalogtext, Berlin/Hannover 2007
  • Von der Kunst, frei zu bleiben. In: Stunde des Bürgers. Magazin der Robert Bosch Stiftung, Stuttgart 2009
  • Amplituden, Kurzgeschichte (dt./eng.), In: XVI. Rohkunstbau. Atlantis I. Hidden Histories – New Identities, Verlag Hans Schiler, Berlin 2009
  • Essaybeiträge auf superdemokraticos.com[11], 2010
  • Peter reicht Ottilie silbriges Austernbesteck. In: EDIT, Heft 54/55 Prosa, Leipzig 2010
  • Bitte wählen Sie den Titel für diesen Essay selbst! In: Los Superdemokraticos. Verbrecher Verlag, Berlin 2010
  • Danke, Uwe! nachträgliche Dankesrede an Uwe Johnson anlässlich seines 80. Geburtstags, In: Mutmaßungen. Uwe Johnson und die Gegenwartsliteratur. (Hg. Carsten Gansel), Verlag für Berlin-Brandenburg, Berlin 2014
  • Fail in Peace, Fail Happier! Fail Successfully! The Art of Enduring the Stupidity of Our Intelligence in Uri Katzenstein’s Works, Katalogtext, Ausstellungskatalog Uri Katzenstein, Tel Aviv Art Museum, Tel Aviv 2015
  • Braslavskys Die Warenwelt der Wunder – Ratschläge zur Verbesserung der Weltlage auf Suhrkamps Logbuch.[12]
  • Essaybeiträge im Rahmen der Rubrik Freitext auf Zeit Online.[13]
  • Mechaniken der Erlösung, Broschüre im Rahmen des Festivals Wege durch das Land, Detmold 2020
  • Wär ich ein Jäger auf freier Flur, SPR.i.t.Z. Sprache im technischen Zeitalter (236), 2020

Film[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Hörkino / Hörspiele[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Hörbücher[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Aus dem Sinn, dingsbums productions, Berlin 2021, EAN 4061707575013

Medienkunst[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Verstreute Prosa (Auswahl)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Lotos und abgetakelte Juwelen. In: Muschelhaufen Nr. 44. Viersen 2004
  • Alla Baster. Kurzprosa. In: marmor & marillen. Laas/Südtirol 2008
  • Kein Sex, kein Marx. In: Katharina Bendixen (Hrsg.): Quietschblanke Tage und spiegelglatte Nächte. poetenladen, Leipzig 2008
  • Nirgends. Kurzgeschichte. In: Michael Hametner (Hrsg.): Risse im Beton. Rotbuch, Berlin 2009
  • Amplitudes. Übersetzt von Andrew Boreham. In: no man’s land. #4 2009/2010
  • Drei Beiträge für ILYR. Illustration-Erzähl-Schlangen. Herausgegeben von Asuka Grün, Marina Friedrich. Mit Beiträgen von Anatol Regnier, Emma Braslavsky, Gino Chiellino, Ilma Rakusa, Kilian Leypold, Philip Maroldt, Şinasi Dikmen, Sylvia Geist, Thomas Kraft, Vesna Lubina. Universität Nürnberg 2012

Ausstellungen als Kuratorin (Auswahl)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Kataloge (Herausgeberin)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • zivilgeneratur, Bulletin p#1 des papirossa - netzmuseums für sprache, Berlin 2004, ISSN 1614-8886
  • I House You, Zur Sprache der eigenen vier Wände, Bulletin p#2 des papirossa - netzmuseums für sprache, Berlin 2005, ISSN 1614-8886
  • The Murakami Collection, Berlin/Hannover 2007
  • Above the Roofs of Berlin, designed by neubauberlin, Berlin 2014

Auszeichnungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Bill Niven: Representations of Flight and Expulsion in East German Prose Works. Camden House, 2014, ISBN 978-1-57113-535-3.
  • Christopher Schliephake: Zeitgenössische Vertreibungsliteratur als Echolot von Erinnerung. In: Marita Krauss, Sarah Scholl-Schneider, Peter Fassl (Hrsg.): Erinnerungskultur und Lebensläufe. Volk Verlag, München 2013, ISBN 978-3-937200-99-6.
  • Paweł Zimniak: Gruppe als Gedächtnismedium – Zum sudetendeutschen Erinnerungsprinzip in Emma Braslavskys „Aus dem Sinn“ (2007). In: Carsten Gansel/Paweł Zimniak (Hrsg.): Das „Prinzip Erinnerung“ in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur nach 1989. V & R Unipress / Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2010, ISBN 978-3-89971-738-9.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Emma Braslavsky – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b c Kim Kindermann: Schreiben gegen die Angst, alles zu vergessen. Porträt der Schriftstellerin Emma Braslavsky. In: deutschlandfunkkultur.de. 26. September 2007, abgerufen am 25. Februar 2022.
  2. gdk-berlin.de
  3. The Murakami Collection
  4. Linkedin-Profil der Autorin
  5. Young Talent Academy (Memento des Originals vom 3. August 2016 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/sprachlabor-erzaehlwerkstatt.de
  6. Unruhige Zeiten provozieren gesellschaftliche Negativentwürfe, Rezension auf SWR2 vom 18. August 2019, abgerufen am 20. August 2019.
  7. KLP Bestes Hörspiel 2023
  8. Emma Braslavsky: Die Nacht war bleich, die Lichter blinkten. Berlin: Suhrkamp Verlag, 2019 - ISBN 978-3-518-42883-2. S. 66, 122 f., 156 f., 162 f., 190 f., 194 f., 271
  9. Laudatio zur Verleihung des Uwe-Johnson-Förderpreises an Emma Braslavsky, 29. September 2007.
  10. Emma Braslavsky: The Ocean Does Not Respond to Us. In: emmabraslavsky.de. 2007, abgerufen am 21. April 2022 (englisch, Übersetzung aus dem Deutschen von Cass Chaya Hirsh).
  11. Emma Braslavsky: Autor – Emma Braslavsky. In: superdemokraticos.com. Abgerufen am 23. August 2018.
  12. Emma Braslavsky: Die Warenwelt der Wunder – Ratschläge zur Verbesserung der Weltlage. In: logbuch-suhrkamp.de. Abgerufen am 22. April 2018.
  13. Profil von Emma Braslavsky bei „Freitext“. In: zeit.de. Abgerufen am 8. Januar 2018.
  14. Die Nacht war bleich, die Lichter blinkten. In: Deutsches Rundfunkarchiv. Stiftung Deutsches Rundfunkarchiv, abgerufen am 1. Juli 2022.
  15. Die Nacht war bleich, die Lichter blinkten – SF von Emma Braslavsky. In: skoutz.de. Abgerufen am 14. Mai 2021.
  16. Arbeits- und Recherchestipendien für 29 Berliner Autorinnen und Autoren vergeben, Meldung auf Buchmarkt.de vom 26. November 2019, abgerufen am 30. November 2019.
  17. EmmaBraslavsky – Die Nacht war bleich, die Lichter blinkten. In: literaturhaus-stuttgart.de. 2019, abgerufen am 28. März 2021.