Marie Josenhans

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Marie Regine Josenhans (geboren 9. November 1855 in Stuttgart; gestorben 23. März 1926 ebenda) war eine deutsche Armenfürsorgerin, Autorin und Sozialpolitikerin (Württembergische Bürgerpartei). Von 1919 bis 1926 war sie als eine der ersten Frauen Gemeinderätin in Stuttgart.[1]

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Marie mit Schwestern
Marie in ihrer Brautzeit

Jugend und Ausbildung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Marie Josenhans wurde als jüngstes von sechzehn Kindern in eine großbürgerliche Familie geboren. Ihr Vater war der Rotgerbermeister und Lederhändler J. Daniel Josenhans, ihre Mutter Christine, geborene Hitzelberger, eine Metzgerstochter von den Fildern. Kurz nach ihrer Konfirmation, als Josenhans fünfzehn Jahre alt war, sind beide Eltern und eine Schwester verstorben. Ihre Ausbildung bekam sie daraufhin in einem Pensionat am Genfer See. Dort nahm sie auch Klavierstunden und Gesangsunterricht bei einem Opernsänger. Sie war begabt und gab im Stuttgarter Königsbau sogar ein Konzert. Danach blieb sie zeitlebens mit Geschwistern und deren Familien in ihrem Elternhaus in der Olgastraße 55 wohnen.[2][3][4] Ihr Onkel Joseph Josenhans war evangelischer Missionsinspektor bei der Basler Mission. Er schrieb unter anderem das 1844 erschienene Buch Ueber Frauen-Vereine zu leiblicher und geistiger Versorgung armer, verlassener und berufloser Jungfrauen und Wittwen.[5][6]

Nachdem Marie Josenhans die Verlobung mit einem jungen Offizier der sogenannten „Olgagrenadiere“ wieder gelöst hatte, blieb sie ihr Leben lang unverheiratet, nahm aber dennoch am gesellschaftlichen Leben teil. Sie war unter anderem mit der Familie Weizsäcker befreundet.[4]

Armenfürsorge[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Josenhans begann 1891 ehrenamtlich für den Leonhardsgemeindeverein Kinder, Kranke und alte Menschen im Stuttgarter Bohnenviertel zu betreuen.[7] Das brachte ihr bald den Beinamen Engel des Bohnenviertels ein. Zur Unterstützung von bedürftigen Familien richtete sie in ihrem Elternhaus eine Kleider- und Möbelkammer und eine Wohnungs- und Arbeitsvermittlung ein. Auch in der Leonhardskrippe arbeitete sie mit.[3][8] Diese vom Leonhardsgemeindeverein neu gebaute Ganztageseinrichtung zur Betreuung von Kindern wurde 1913 eröffnet. Etwa. 60–115 Kleinkinder wurden dort betreut. Nach einer wechselvollen Geschichte gibt es diese Einrichtung heute immer noch.[9]

Seit 1906 veröffentlichte sie Geschichten über Menschen, die ihr im Bohnenviertel begegnet waren, unter dem Titel Meine alten Weiblein im Selbstverlag unter den Initialen „M. J.“ Das Buch erschien in dieser Form in mehreren Auflagen. 1908 gab sie einen Folgeband heraus. Ab 1922 erschienen die Geschichten im Quellverlag mit einem Vorwort von Auguste Supper, die dann auch Marie Josenhans als Verfasserin nannte.[10] 1910 kam noch ein dritter Band hinzu: Meine kleinen Freunde. Die Veröffentlichung der Geschichten brachte Josenhans reichlich Spenden für ihre soziale Arbeit ein, vor allem nachdem auch das Königspaar zu den Lesern gehörte.[4]

Gemeinderätin[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Am 12. November 1918 proklamierte der Rat der Volksbeauftragten das allgemeine Wahlrecht für Männer und Frauen ab einem Alter von 20 Jahren. Bei den Gemeinderatswahlen 1919 zog Josenhans als eine der ersten Frauen und Mitglied der neu gegründeten Württembergischen Bürgerpartei in den Stuttgarter Gemeinderat ein. Die Württembergische Bürgerpartei war der württembergische Landesverband der konservativen Deutschnationalen Volkspartei (DNVP). Dadurch gelang es Josenhans schließlich, dass die Armenfürsorge als öffentliche Aufgabe anerkannt wurde. Josenhans war bis 1926 Mitglied des Stuttgarter Gemeinderats.[11]

Parallel zum aktiven und passiven Wahlrecht für Frauen im Staatswesen wurde dieses auch in der württembergischen Landeskirche eingeführt. Marie Josenhans wurde 1922 als erste Frau in den Kirchengemeinderat der evangelischen Leonhards-Gemeinde gewählt.[12][13]

Daneben wurde Josenhans auch als Schöffin und in die Zentralleitung für Wohltätigkeit berufen.[14]

Tod[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Marie Josenhans starb mit 70 Jahren an einem Herzleiden und wurde auf dem Stuttgarter Pragfriedhof begraben. Ort und Zeit der Beerdigung waren nicht bekannt gegeben worden, dennoch gaben ihr Hunderte von Menschen das letzte Geleit.[3]

Ehrungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Stuttgarter Stadtbezirk Weilimdorf wurde 1938 die Josenhansstraße nach Marie Josenhans benannt.[11][15] Das Bestreben, eine Straße im neu gebauten und 2017 eröffneten Stuttgarter Dorotheen Quartier nach ihr zu benennen, scheiterte.[16]

Bei der Neugründung der Stiftung FrauenLeben erwähnte Gerhard Raff in seinem Festvortrag über Württembergs wohltätige Weibsbilder Josenhans mit „Sie hat sich aufgeopfert für die Ärmsten“.[17]

Auf einer Kreuzwegprozession durch Stuttgart erinnerte der Pfarrer der Hospitalhofkirche, Eberhard Schwarz, am Karfreitag 2014 die Teilnehmenden an kritische Ereignisse und mitleidende Menschen der Stadtgeschichte. So wurde auch für Marie Josenhans die Dornenkrone ausgepackt.[18]

Schriften[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Meine alten Weiblein. Alltagserlebnisse. Heinrich Eller, 1906. 3. Auflage Neue Auflage 1907. 4. Auflage. Meine alten Weiblein: Alltagserlebnisse. Quell-Verlag der Evangelischen Gesellschaft, Stuttgart 1922. Neuauflagen 1947, 1981, 1985 und 1987
  • Meine alten Weiblein: Alltagserlebnisse. Neue Folgen. Quell-Verlag der Evangelischen Gesellschaft, Stuttgart 1908. Neuauflagen 1928, 1947, 1985 und 1987.
  • Meine kleinen Freunde. Quell-Verlag, Stuttgart 1910.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Gertrud Faut (1927)
  • Christoph Friedrich Stälin: Württembergische Geschichte. Unveränderter Nachdruck der Ausgabe von 1841–1873. 4 Teile in 2 Bänden. Akademische Verlagsgesellschaft Kettwig.
  • Karl Weller: Württembergische Geschichte. In: Sammlung Göschen. Band 462. G. J. Göschen’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1909.
  • Gertrud Faut: Marie Josenhans. Die Mutter der Alten Weiblein. Ein Lebensbild. Mit Nachwort von Auguste Supper. Quell-Verlag, Stuttgart 1927 (Faut ist eine Nichte von Josenhans).
  • Zeitwende. Band 4. Evangelisches Verlagswerk, 1928, S. 470.
  • Marie Josenhans. In: Zeitwende. Band 4, Nr. 2. Zeitwende Verlagsgesellschaft, 1928, S. 470.
  • Stuttgarter Zeitung (Hrsg.): Marie Josenhans und die alten Weiblein. Zum 100. Geburtstag einer Stuttgarterin, die für die Armen lebte. 18. November 1955.
  • Richard Zanker: Geliebtes altes Stuttgart: Erinnerungen und Begegnungen. Frankh, 1964, S. 56–61.
  • Arbeitsgemeinschaft hauptamtlicher Archivare innerhalb des Städtetags Baden-Württemberg (Hrsg.): Archive der Städte und Gemeinden in Baden-Württemberg. Angebot und Aufgaben. Radolfzell 1979.
  • Erika Stöffler (Hrsg.): Initiativen. Lebensbilder evangelischer Frauen. Quell-Verlag, Stuttgart 1984, ISBN 3-7918-2098-2.
  • Heinz H. Poker: Chronik der Stadt Stuttgart. Band 3. Klett-Cotta, Stuttgart 1990, S. 43–44.
  • Ina Hochreuther: Frauen im Parlament. Südwestdeutsche Abgeordnete seit 1919. Hrsg.: Landtag Baden-Württemberg und der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg. Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1992, ISBN 3-8062-1012-8.
  • Herd und Himmel: Frauen im evangelischen Württemberg. Katalog zur Ausstellung im Landeskirchlichen Museum Ludwigsburg vom 17. Mai 1997 bis 29. März 1998. Landeskirchliches Museum, 1997, S. 112–114.
  • Maja Riepl-Schmidt: Wider das verkochte und verbügelte Leben: Frauenemanzipation in Stuttgart seit 1800. Silberburg-Verlag, 1998, ISBN 3-87407-267-3, S. 282.
  • Susanne Joos: Aufgespürt: Frauengeschichte in Stuttgarter Kirchengemeinden. Hrsg.: Theologinnenkonvent. Tübingen 1999, S. 114–122.
  • Monika Lange-Tetzlaff: Bohnenviertel - Streifzüge im Herzen von Stuttgart. Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 2015, ISBN 978-3-8062-3045-1.
  • Josenhans, Maria, in: Gudrun Wedel: Autobiographien von Frauen. Ein Lexikon. Köln : Böhlau, 2010, S. 382

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Josenhans Marie - Detailseite. In: Landeskundliches Informationssystem Baden-Württemberg (LEO-BW). Abgerufen am 28. November 2020.
  2. Elisabeth Friedrichs: Die deutschsprachigen Schriftstellerinnen des 18. und 19. Jahrhunderts. Ein Lexikon. In: Repertorien zur deutschen Literaturgeschichte. Band 9. Metzler, Stuttgart 1981, ISBN 3-476-00456-2, S. 149.
  3. a b c Stadtpfarrer Löffler: Am Grabe von Marie Josenhans. Grabrede. 23. März 1926.
  4. a b c Gerhard Raff: Engel vom Bohnenviertel. In: Stuttgarter Zeitung. 22. März 2001.
  5. Josenhans, Joseph. In: Deutsche Biographie. Abgerufen am 28. November 2020.
  6. Josenhans, Marie. In: Deutsche Biographie. Abgerufen am 29. November 2020.
  7. Startseite : Evangelische Leonhardsgemeinde Stuttgart. Abgerufen am 15. Dezember 2020.
  8. Stuttgarter Bohnenviertel. Abgerufen am 28. November 2020.
  9. Leonhardskrippe: Geschichte der Leonhardskrippe. Abgerufen am 15. Dezember 2020.
  10. Marie Josenhans. (PDF) In: Antiquar-Katalog. 2018, abgerufen am 29. November 2020.
  11. a b Landeshauptstadt Stuttgart (Hrsg.): Die Stuttgarter Straßennamen. Silberburg-Verlag, Tübingen 2003, ISBN 3-87407-549-4, S. 311.
  12. Old Catholics und Anglikaner. In: Stuttgart zu Fuß. 20 Stadtteil-Streifzüge durch Geschichte und Gegenwart. Silberburg-Verlag, Tübingen 2005, ISBN 3-87407-649-0, S. 67.
  13. Nicole Marten: Als die Kirche weiblich wurde. In: Evangelisches Gemeindeblatt für Württemberg. Juni 2019, abgerufen am 13. Dezember 2020.
  14. Stuttgarter Zeitung (Hrsg.): Marie Josenhans und die alten Weiblein. 10. November 1955.
  15. Josenhansstr. 70499 Stuttgart Weilimdorf. Abgerufen am 29. November 2020.
  16. Marc Schieferecke: Dorotheenquartier: Breuninger wünscht sich Breuninger. In: Stuttgarter Nachrichten. 24. Juni 2015, abgerufen am 29. November 2020.
  17. Dominika Jaschek: Stiftung FrauenLeben in S-Ost: Stiftung will Frauen und Kindern eine Perspektive geben. In: Stuttgarter Nachrichten. 14. Oktober 2013, abgerufen am 29. November 2020.
  18. Inge Jacobs: Kreuzweg in Stuttgart: Eine Dornenkrone auf Wanderschaft. In: Stuttgarter Zeitung. 13. April 2014, abgerufen am 14. Dezember 2020.