Micarna

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Micarna SA

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Rechtsform Aktiengesellschaft
Gründung 1958
Sitz Courtepin, Schweiz[1]
Leitung
  • Peter Hinder (Geschäftsführer)[2][3]
Mitarbeiterzahl 2653 (2022)[4]
Umsatz 1,8 Mrd. CHF (2019)[5]
Branche Nahrungsmittel, Fleischwaren
Website www.micarna.ch

Die Micarna AG mit Hauptsitz in Courtepin ist ein Unternehmen des Schweizer genossenschaftlichen Einzelhandelkonzerns Migros. Sie ist einer der führenden Fleischverarbeiter der Schweiz. Neben dem Handel werden auch Gastronomiebetriebe und Grossverbraucher beliefert. Das Unternehmen beschäftigte im Jahr 2019 rund 3'400 Mitarbeitende und erwirtschaftete einen Umsatz von etwa 1,8 Milliarden Franken. Micarna gehört zu den 500 grössten Unternehmen in der Schweiz.

Bei Poulet hat Micarna mit 43 Prozent den grössten Marktanteil. Über 31 Millionen Hühner hat das Unternehmen im Jahr 2019 geschlachtet.[6]:S. 49 Die Federn der geschlachteten Hühner werden, wie andere Schlachtnebenprodukte auch, an die Centravo geliefert.[7]

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ab Juni 1958 betrieb der Migros-Genossenschafts-Bund (MGB) eine Metzgerei in Winterthur, die aber bald nicht mehr mit der ständig wachsenden Nachfrage Schritt halten konnte. Deshalb gründete der MGB noch im selben Jahr die Micarna und nahm den Bau eines Produktionsbetriebs für Frischfleich und Fleischwaren in Courtepin in Angriff. Die damals modernste Fleischwarenfabrik der Schweiz nahm ihren Betrieb am 2. Juni 1960 auf. Mit der Zeit kamen Personalschule, Labors und Schlachtanlagen hinzu.[8] 1966 beschloss die Micarna, den zu klein gewordenen Betrieb in Winterthur aufzugeben und in Bazenheid eine neue, weitaus grössere Produktionsstätte zu errichten. Mit Abschluss der ersten Bauetappe am 4. November 1968 begann die etappenweise Verlegung der Abteilungen. Dieser Vorgang war am 14. August 1969 abgeschlossen.[9] Seit 1993 werden die beiden Standorte einheitlich operativ geführt.

1997 gliederte Micarna die Geflügelveredelung in die Optigal AG aus, 2001 übernahm sie von der Genossenschaft Migros Waadt den Fleischproduktionsbetrieb in Ecublens. 2003 eröffnete sie in Courtepin einen neuen Schlachthof und eine neue Zerlegerei.[10] Im Rahmen einer neuen Expansionsstrategie, die zunächst auf Wachstumsmöglichkeiten innerhalb des Schweizer Marktes beschränkt war, übernahm die Micarna im Jahr 2004 die im Gastronomiebereich tätige Firma Mérat & Cie AG in Bern.[11] 2006 fusionierte Micarna mit der Optigal AG und integrierte sie als Business Unit «Geflügel», 2007 folgte die Integration des Fischgeschäfts des MGB in die Business Unit «Seafood».[10]

Die Natura Bündner Fleischtrocknerei in Tinizong wurde 2009 übernommen, 2012 die Favorit Geflügel AG in Lyss[10] und 2015 die Firma Maurer Speck aus Flüh.[12] 2016 übernahm Micarna die Gabriel Fleury SA in Granges, einen Spezialisten für Walliser Trockenfleisch. 2017 integrierte der MGB den Bereich Produktion und Verarbeitung des zwei Jahre zuvor erworbenen Eier- und Tiefkühlproduzenten Lüchinger + Schmid in die Micarna.[13] Die deutsche Firma Stauss Geflügel GmbH wurde 2018 in Oberschwäbische Geflügel GmbH umbenannt und deren Gesellschaftssitz von Ertingen nach Betzenweiler verlegt. Im Schlacht- und Verarbeitungsbetrieb in Ertingen wird das Geflügel-Rohmaterial produziert, das anschliessend in Betzenweiler verarbeitet wird.[14] 2019 hat Micarna in der Industriezone von Avenches eine Brüterei eröffnet.[15][16] Die Eier wurden zuvor in den Micarna-eigenen (siehe dazu vertikale Integration) sogenannten Elterntierparks im Unterwallis befruchtet. Nach dem Schlüpfen in Avenches werden die Eintagsküken auf rund 500 unabhängige Betriebe verteilt, welche bei Micarna unter Vertrag stehen.[17] Um Fischzucht zu betreiben, wurde im Jahr 2020 eine Aquakulturanlage in Birsfelden in Betrieb genommen.[18] Die Migros will die Anlage aber bis November 2024 schliessen.[19]

In Zeiten der administrativen Versorgung verrichteten Insassen der Strafanstalt Bellechasse gemäss dem Schlussbericht der Unabhängigen Expertenkommission bis 1978 Zwangsarbeit bei der Micarna in Courtepin. Das Unternehmen weist die Vorwürfe von sich und vertritt den Standpunkt, man habe nie von sich aus Zwangsarbeiter eingestellt. Vielmehr seien diese stets unter der Auswahl, Leitung und Kontrolle der Strafanstalt in der Produktion beschäftigt gewesen.[20]

Micarna ist Mitglied bei der IG Bio[21] und bei der Branchenorganisation Proviande. Von 2005 bis 2021 wurde das Unternehmen von Albert Baumann geleitet.[22][23] Baumann wurde im Januar 2015 bei den SwissAward 2014 als Gewinner der Kategorie Wirtschaft ausgezeichnet. Der Verwaltungsratspräsident Armando Santacesaria und der Geschäftsführer Peter Hinder werden das Unternehmen per Ende März 2024 verlassen.[24][25][26]

Der Standort in Ecublens VD will die Migros im Frühjahr 2025 schliessen.[27] Am 29. Februar 2024, zwei Wochen nach Bekanntgabe der Schliessung, traten die betroffenen Mitarbeitenden in den Streik.[28]

Micarna-Gruppe[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Hauptstandorte der Micarna AG sind Courtepin und Bazenheid, die zusammen mehr als zwei Drittel der Belegschaft umfassen. Hinzu kommen weitere Produktionsbetriebe in Avenches, Ecublens VD, Schönbühl und Zürich, mehrere Zuchtbetriebe im Kanton Wallis sowie in Kooperation mit anderen Unternehmen betriebene Schlachthöfe in Bazenheid, Clarens, Estavayer-le-Lac, Gossau und Hinwil.[29] Ebenfalls zur Micarna-Gruppe gehören folgende Unternehmen (Stand 2019):[29]

Die Geschäftsanteile an der Oberschwäbischen Geflügel GmbH in Ertingen und Betzenweiler (Deutschland) wurden am 11. Mai 2020 veräussert.[31]

Micarna E-Direct[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ende 2017 kündigte Micarna an, im ersten Quartal 2018 die App Micarna E-Direct zu lancieren.[32] Tierproduzenten werden durch die App zu Lieferanten der Micarna (Direktvertrieb), auch Transport und Begleitdokument werden darüber abgewickelt. Dies macht den Handelsverkauf und somit den Viehhandel überflüssig. Seit 2019 wird das Bio Weide-Beef der Migros auch über die App gehandelt[33], was im Vorfeld zu einer ausserordentlichen Generalversammlung der IG Bio Weide-Beef mit vielen kritischen Stimmen führte.[34] An der Generalversammlung vom 14. März 2019 wurde der Präsident der IG abgewählt, und zwei Drittel des Vorstands traten zurück.[35]

Kritik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Rund 93 % des Label-Geflügels bei der Migros stammt aus Optigal-Betrieben der Micarna.[36] In der Geflügelproduktion mit einer «besonders tierfreundlichen Stallhaltung» (kurz BTS) verenden immer noch rund 4 % der Tiere während der Mastzeit. Der Beitrag «Der Tod ist Teil des Geschäfts» vom 30. Januar 2018 in der Sendung 10vor10 veranlasste Micarna dazu, eine Beschwerdeschrift beim Ombudsmann der SRG einzureichen. Micarna sieht im Beitrag Verletzungen an den publizistischen Leitlinien des Schweizer Radios und Fernsehen, den Richtlinien des Schweizer Presserats sowie beim Sachgerechtigkeitsprinzip und Unabhängigkeitsprinzip der SRG. Ombudsmann Roger Blum wies die Beschwerde zurück. Seiner Meinung nach seien in der betreffenden Sendung alle wesentlichen Fragen gestellt und behandelt worden. Die verschiedenen Parteien kamen zu Wort, konnten ihre besten Argumente vortragen und auf Kritik reagieren.[37] Dass die Optigal-Werbung der Migros nicht annähernd mit der Realität übereinstimmt,[38] zeigten im Juli 2018 erneut Aufnahmen der Westschweizer Tierrechtsorganisation Pour l’égalité animale (PEA).[39] Daraufhin besuchte auch der Beobachter die Anlage.[40] Nachdem der Kassensturz am 1. Juni 2021 erneut über das Thema berichtete, hat die Migros angekündigt, in Zukunft auf die Bezeichnung «Besonders tierfreundliche Stallhaltung» auf den Verpackungen verzichten zu wollen.[41]

Auch die Schlachtmethode bei den Hühnern per Elektroschock wird kritisiert. Konkurrent Bell nahm bereits 2011 eine Vergasungsanlage in Betrieb, was als tierschonender gilt.[42][43][44]

Des Weiteren kritisiert u. a. die Umweltschutzorganisation Greenpeace, dass ein Geflügelschlachthof in Saint-Aubin gebaut werden soll.[45]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Micarna SA. In: Handelsregister des Kantons Freiburg. Abgerufen am 12. April 2021.
  2. Hinder, Peter--DB8108. In: histoirerurale.ch. Archiv für Agrargeschichte, abgerufen am 5. Juni 2023.
  3. Micarna: Hinder übernimmt ab sofort. In: schweizerbauer.ch. 14. Oktober 2021, abgerufen am 16. Oktober 2021.
  4. Tochtergesellschaften & Beteiligungen. In: report.migros.ch. Abgerufen am 31. Oktober 2023.
  5. Micarna-Chef tritt Ende 2021 zurück. In: schweizerbauer.ch. 22. Dezember 2020, abgerufen am 22. Dezember 2020.
  6. Priska Baur, Patricia Krayer: Schweizer Futtermittelimporte – Entwicklung, Hintergründe, Folgen. Forschungsprojekt im Auftrag von Greenpeace Schweiz. Hrsg.: Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. 28. Februar 2021, doi:10.21256/zhaw-2400.
  7. Andrea Söldi: Rohstoff - Wir essen tonnenweise Geflügel – doch was passiert mit den Federn, wenn das Huhn gerupft ist? In: tagblatt.ch. 30. November 2018, abgerufen am 7. Februar 2023.
  8. Alfred A. Häsler: Das Abenteuer Migros. Die 60 Jahre junge Idee. Hrsg.: Migros-Genossenschafts-Bund. Migros Presse, Zürich 1985, S. 329.
  9. Häsler: Das Abenteuer Migros. S. 337.
  10. a b c Geschichte. Micarna, abgerufen am 15. Oktober 2019.
  11. 2013–2018 – Nachhaltigkeit, Expansion und Kommunikation. (PDF, 6,1 MB) Micarna, 2018, abgerufen am 15. Oktober 2019.
  12. Micarna übernimmt Maurer Speck. St. Galler Tagblatt, 21. Juli 2015, abgerufen am 15. Oktober 2019.
  13. Lüchinger + Schmid: Produktion zu Micarna. Schweizer Bauer, 10. Oktober 2016, abgerufen am 7. September 2021.
  14. Aus der Stauss Geflügel GmbH wird die Oberschwäbische Geflügel GmbH. (PDF, 408 kB) Micarna, 18. April 2018, abgerufen am 19. Mai 2018.
  15. Jasmine Baumann: Neue Micarna Brüterei eröffnet. In: bauernzeitung.ch. 4. Mai 2019, abgerufen am 31. Januar 2023.
  16. Lukas Häuptli: Im Zuchthaus. In: republik.ch. 14. September 2022, abgerufen am 31. Januar 2023.
  17. Mathias Streit: Vom Ei zum Kühlregal-Poulet. In: hauptstadt.be. 27. August 2022, abgerufen am 7. Februar 2023.
  18. Dennis Hoffmeyer: Aquakultur — Zukunft des Fischkonsums: Migros eröffnet eigene Fischzucht. In: SRF. 18. September 2020, abgerufen am 24. Juli 2021.
  19. Joschka Schaffner: Aus für Millionenprojekt – Migros schliesst Felchen-Zucht in Birsfelden. In: blick.ch. 2. Oktober 2023, abgerufen am 6. Oktober 2023.
  20. Tobias Marti: In der Schweiz gab es Zwangsarbeit. Auch die Migros machte mit. blick.ch, 29. Juni 2019, abgerufen am 1. Juli 2019.
  21. Mitglieder. In: igbio.ch. Interessengemeinschaft Bio Schweiz, abgerufen am 8. April 2021.
  22. Baumann, Albert (1959-)--DB4308. Archiv für Agrargeschichte, abgerufen am 5. Juni 2023.
  23. Langjähriger Micarna-Chef verstorben. Schweizer Bauer, 3. Juni 2023, abgerufen am 5. Juni 2023.
  24. Wechsel in der Leitung der Migros Industrie. In: corporate.migros.ch. 2. Oktober 2023, abgerufen am 30. Oktober 2023.
  25. Migros: Umbau beim orangen Riesen fordert erste Opfer. In: persoenlich.com. 29. Oktober 2023, abgerufen am 30. Oktober 2023.
  26. Thomas Griesser Kym: Nach 30 Jahren Migros-Industrie: Micarna-Chef Peter Hinder steht vor dem Rücktritt. In: bzbasel.ch. 30. Oktober 2023, abgerufen am 30. Oktober 2023.
  27. Keystone-SDA: Migros schliesst Micarna-Standort in Ecublens VD. In: nau.ch. 15. Februar 2024, abgerufen am 15. Februar 2024.
  28. Keystone-SDA: Micarna-Mitarbeitende in Ecublens VD streiken. In: swissinfo.ch. 29. Februar 2024, abgerufen am 29. Februar 2024.
  29. a b Vademecum 2019. (PDF, 5,4 MB) Micarna, 2019, abgerufen am 15. Oktober 2019.
  30. Migros-Industrie erwirbt weitere Minderheitsanteile. Akquisitionen, Veräusserungen & Unternehmensgründungen. In: report.migros.ch. Abgerufen am 20. Mai 2021.
  31. Akquisitionen, Veräusserungen & Unternehmensgründungen. In: report.migros.ch. Abgerufen am 20. Mai 2021.
  32. Micarna-App ersetzt Viehhändler. Schweizer Bauer, 9. Dezember 2017, abgerufen am 9. Dezember 2017.
  33. Micarna bekommt mehr Gewicht. Schweizer Bauer, 5. Januar 2019, abgerufen am 6. Januar 2019.
  34. IG Bio Weide-Beef: Protokoll der ausserordentlichen Generalversammlung. (PDF; 72,2 KB) igbioweidebeef.ch, 16. November 2018, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 6. Januar 2019; abgerufen am 6. Januar 2019.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.igbioweidebeef.ch
  35. Adrian Krebs: Palastrevolte bei der IG Bio Weide-Beef. Bauernzeitung, 22. März 2019, abgerufen am 11. April 2019.
  36. Labels und Marken – perfekte Orientierung. Micarna, abgerufen am 6. Januar 2019.
  37. Keine Manipulation beim Hühnerbericht. SRG SSR, 8. Mai 2018, abgerufen am 9. Mai 2018.
  38. Optigal – weit weg von einer optimalen Tierhaltung. Stiftung für Konsumentenschutz, 16. Februar 2018, abgerufen am 14. Juli 2018.
  39. Tote Hühner im Migros-Stall. Tier im Fokus, 10. Juli 2018, abgerufen am 13. Juli 2018.
  40. Gian Signorell: Den Himmel sehen die «Optigal»-Hühner der Migros nie. Beobachter, 27. September 2018, abgerufen am 29. September 2018.
  41. David Jans: BTS – von wegen! – Tierleid in Ställen mit «Besonders Tierfreundlicher Stallhaltung». SRF, 1. Juni 2021, abgerufen am 1. Juni 2021.
  42. Felix Maise: Neue Regeln für die Lizenz zum Töten. In: tagesanzeiger.ch. 30. November 2010, abgerufen am 29. August 2023.
  43. Stefan Häne: Stress und Schmerz vor dem finalen Stromschlag. In: tagesanzeiger.ch. 16. Juli 2015, abgerufen am 29. August 2023.
  44. Netz Natur: Hühnerhautnah. Video ab 50:25. In: srf.ch. 1. August 2019, abgerufen am 29. August 2023.
  45. Widerstand gegen Geflügelschlachthof. Schweizer Bauer, 6. August 2023, abgerufen am 19. August 2023.